Polens Filmindustrie ist international bestens vernetzt – das galt schon für die Volksrepublik Polen und noch viel mehr für die freie Marktwirtschaft nach 1989. In einer Zeit, in der Fördertöpfe gestrichen werden, während die Produktionskosten beständig steigen, ist die Zusammenarbeit mit Produzent*innen aus anderen Ländern schon fast zum Regelfall geworden. Dabei fällt auf, dass neben den nach wie vor zahlreichen deutsch-polnischen Koproduktionen in letzter Zeit zunehmend Filme mit skandinavischen Partnerinstitutionen entstehen. Die Ergebnisse sind vielfältig, haben ein hohes Qualitätslevel und finden sowohl beim Fachpublikum als auch bei den Kinozuschauer*innen Anklang. Drei Beispiele aus den letzten Jahren zeigen exemplarisch die stilistische und inhaltliche Bandbreite dieser Querverbindung von Ostmittel- nach Nordeuropa:
Den stygge stesøsteren / Brzydka siostra / The Ugly Stepsister von Emilie Blichfeldt
Norwegian Dream von Leiv Igor Devold
Pigen med nålen / Dziewczyna z igłą / Das Mädchen mit der Nadel von Magnus von Horn
Den stygge stesøsteren / Brzydka siostra / The Ugly Stepsister
NOR/PL/DK/ROMSVE 2025
R/B: Emilie Blichfeldt
109 min, OmdU
K: Marcel Zyskind
S: Olivia Neergaard-Holm
M: John Erik Kaada & Vilde Tuv
D: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli, Isac Calmroth, Katarzyna Herman u. a.
Elvira ist verträumt, etwas naiv und verkriecht sich gern in Gedichten und Träumen vom Märchenprinzen – die gar nicht so realitätsfremd sind, denn genau solch einen soll sie sich angeln. Die arrangierte Hochzeit ihrer Mutter erweist sich nämlich als Katastrophe, der uralte Gatte stirbt kurz nach der Trauung und hinterlässt nicht nur ein baufälliges Schloss, sondern auch ein großes Loch in der Familienkasse. Schnell ist ein Plan gefasst: Elvira muss alles dafür tun, die Aufmerksamkeit eines möglichst reichen Prinzen auf sich ziehen und durch günstige Heirat die Familie aus der Misere retten. Beim großen Ball soll sich das Schicksal zum Guten wenden.
Emilie Blichfeldt modernisiert das Märchen vom Aschenputtel bzw. Aschenbrödel als Body-Horror mit feministischem Unterton. Denn Elviras Hauptaufgabe ist es, schön zu sein. Und wenn die Natur das nicht zufriedenstellend leisten kann, muss eben nachgeholfen werden, auch wenn die Mittel schmerzhaft sind. Dabei verschiebt die Regisseurin die Perspektive und schaut nicht auf das unterprivilegierte Aschenputtel, sondern auf seine Konkurrenz, die nicht auf Zauberkräfte zurückgreifen kann.
Die internationale Koproduktion wurde auf Norwegisch gedreht, entstand aber zum großen Teil in Polen im Schloss von Gołuchów sowie im Palast in Lewków. Auch der Drehstab setzte sich zu großen Teilen aus polnischen Filmschaffenden zusammen. [Rainer Mende]
13.09. / 18:00 / Thalia Potsdam / Ticket-Link
16.09. / 18:00 / Sputnik / Ticket-Link

Den stygge stesøsteren / The Ugly Stepsister © Łukasz Bąk
Norwegian Dream
NOR/PL/D 2023
R: Leiv Igor Devold
97 min, OmdU
B: Justyna Bilik
K: Patryk Kin
S: Ida Vennerød Kolstø, Tomasz Mączka & Øyvinn Haugrud Kastnes
M: Florian Tessloff
D: Hubert Miłkowski, Karl Bekele Steinland, Edyta Torhan, Jakub Sierenberg, Izabella Dudziak u. a.
Abgeschiedene Seen, orangerosa glänzender Lachs, schroffe Felsen, majestätische Fjorde, bunte Holzhäuser, das Meeresrauschen als Soundtrack – so erträumt man sich Norwegen. Aber Roberts „norwegischer Traum“ erinnert eher an einen Albtraum. Nicht als Tourist kam der junge Mann mit den stahlblauen Augen aus Białystok hierher, sondern um seine Familie aus den roten Zahlen zu bringen. Die Arbeit in der Fischfabrik ist hart und wenig erfüllend, die Arbeiterunterkunft spartanisch, der Umgangston unter den vielen polnischen Arbeiter*innen rau. Außerdem nutzt der Arbeitgeber beim Sozialdumping die rechtlichen Grauzonen und betrügt u. a. bei der Vergütung der Überstunden.
Das alleine würde schon für ein Sozialdrama in der Art von Ken Loachs „It’s a Free World“ genügen. Aber Robert hat noch ganz andere Sorgen. Denn Ivar, der Adoptivsohn des Fabrikbesitzers, weist ihn nicht nur in die Arbeitsvorgänge ein, lässt ihn mit seinem Oldtimer herumkurven und organisiert ihm einen Nebenverdienst in Trondheim. Der attraktive dunkelhäutige Mann verdreht Robert auch gehörig den Kopf und weckt damit in ihm sowohl Angst als auch die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis. Denn in der rauen Welt der Fabrikarbeiter*innen sind Schwulen- und Fremdenfeindlichkeit keine Fremdwörter. Die Situation spitzt sich zu und Robert muss Entscheidungen treffen. [Rainer Mende]
15.09. / 18:00 / Sputnik / Ticket-Link
16.09. / 17:30 / Klick Kino / Ticket-Link

Norwegian Dream
Pigen med nålen / Dziewczyna z igłą / Das Mädchen mit der Nadel
DK/PL/SVE 2024
R: Magnus von Horn
115 min, OmdU
B: Magnus von Horn & Line Langebek
K: Michał Dymek
S: Agnieszka Glińska
M: Frederikke Hoffmeier
D: Vic Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri, Joachim Fjelstrup, Tessa Hoder, Ava Knox Martin, Monika Kępka, Magnus von Horn u. a.
Europa wird vom Ersten Weltkrieg zerrüttet und Karoline schlägt sich mehr schlecht als recht durch das harte Leben einer Näherin in einer Kopenhagener Textilfabrik. Zum Glück hat der Fabrikbesitzer ein Auge auf sie geworfen, sie wird sogar von ihm schwanger – aber seine Mutter sperrt sich gegen die Beziehung und Karoline muss zurück in ihre kalte, baufällige Absteige. Dorthin kommt unvermittelt ihr totgeglaubter Mann schwer entstellt von der Front zurück.
Verzweifelt versucht Karoline, mit einer Nadel das ungewollte Kind in ihrem Bauch loszuwerden. Eine fremde Frau verhindert das in letzter Sekunde und lädt sie ein, nach der Geburt zu ihr zu kommen. Sie will bei der Suche nach wohlhabenden Adoptiveltern helfen. Aber irgendetwas ist an ihr verdächtig. Ist sie eine barmherzige Helferin oder eine skrupellose Geschäftsfrau?
In virtuosen, reduzierten Schwarz-Weiß-Bildern von Michał Dymek, untermalt von elektronischen Klängen Frederikke Hoffmeiers, erzählt Magnus von Horn vordergründig ruhig, jedoch in starker Verdichtung eine Geschichte, die als Sozialstudie beginnt und sich zur Tragödie ausweitet, deren Relevanz bis in die Gegenwart reicht. Dabei brillieren die Hauptdarstellerinnen Vic Carmen Sonne und Trine Dyrholm, Für die Szenografie wurden u. a. Kłodzko, Łódź, Zgierz und Wrocław in Szene gesetzt. [Rainer Mende]
12.09. / 20:00 / Klick Kino / Ticket-Link
13.09. / 15:00 / fsk Kino / Ticket-Link

Pigen med nålen / Das Mädchen mit der Nadel