Konzept der Sektion „Kunst im Kino“: Anna Baumgart
Kuratorin des Programms 2025: Weronika Adamowska
In den vergangenen Jahren bestand die prägende Idee hinter der Sektion „Kunst im Kino“ darin, Kunst aus Polen in Berlin zu präsentieren. Und wenn man die Logik umkehrt und polnische Kunst direkt in Berlin sucht? Wenn man sagen würde, dass sie direkt vor der Haustür liegt und man möglicherweise häufiger mit ihr in Berührung kommt, als man denkt?
Der Titel des Filmprogramms „Berlin Made Me Glad Sad Mad“ bezieht sich auf die Berliner Straßenaktion „Outdoor-Texte Berlin, TÓTotalJOY“ des ungarischen Neo-Avantgarde-Künstlers Endre Tót aus dem Jahr 1979, wo der Text erstmals auf einer Plakatwand auftauchte, und spiegelt die widersprüchlichen Gefühle wider, welche diese Stadt hervorruft. Wie jede Metropole kann Berlin sowohl abstoßen als auch inspirieren – die Stadt kann sowohl eine unerschöpfliche Energiequelle als auch ein schwarzes Loch sein, das alles verschlingt. Wir alle, die wir hier leben oder gelebt haben, waren manchmal glücklich, hier zu sein, oder traurig, hier zu sein, wütend, hier zu sein, und manchmal trugen wir alle diese Gefühle gleichzeitig in uns. Gerade jetzt, wo den Fördermitteln für die Kunst in Berlin erhebliche Kürzungen drohen und die Lebenshaltungskosten steigen, mag die Zukunft düster erscheinen.
Berlins Weltoffenheit und seine Fähigkeit, auch riskante Kunstprojekte zu unterstützen, ziehen seit langem Künstler*innen aus der ganzen Welt an – darunter aus Polen. Für polnische Künstler*innen war Berlin schon immer ein besonders inspirierender Ort. Mit einer experimentellen Kunstszene, verhältnismäßig niedrigen Mieten, vielen Kulturräumen, mehr als 200 Galerien, einem pulsierenden Nachtleben und seiner Offenheit gegenüber anderen Kulturen war Berlin – nur eine Autostunde von der deutsch-polnischen Grenze entfernt – stets eine verlockende Perspektive. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Stadt auch zu einem politischen Asyl für viele polnische Künstler*innen und andere Menschen – einem Ort, wo sie ihre Arbeit fortsetzen konnten. So wurde die Berliner Kunstszene in den letzten vierzig Jahren durch eine bedeutende Anzahl von Künstler*innen aus Polen bereichert.
„Berlin Made Me Glad Sad Mad“ versammelt eine aktuelle Auswahl an Experimentalfilmen und Videokunst von Menschen polnischer Herkunft und konzentriert sich dabei auf Werke von Frauen und queeren Personen, welche die Grenzen des Kinos und des Films hinterfragen, unterlaufen und erweitern. Das vielfältige Programm präsentiert einen Querschnitt der zeitgenössischen Filmkunst, welche die traditionellen Genregrenzen überschreitet und das Experiment als Mittel des persönlichen und des politischen Ausdrucks betrachtet. Von der zarten Oberflächenstruktur des analogen Films bis zur überschäumenden Energie der Videoperformance, von der immersiven Welt der 3D-Animation bis zum beobachtenden Blick des Dokumentarfilms sind die gezeigten Werke ein Kaleidoskop von Reflexionen über Identitäten, Beziehungen und Zugehörigkeiten, aber auch über radikale Zukünfte, Aktivismus und die Tücken des Fortschritts. In diesem Geiste versucht das Programm, die Offenheit Berlins für radikale Experimente und avantgardistisches Denken zu reflektieren. [Weronika Adamowska, Übersetzung: Rainer Mende]
Vertretene Künstler*innen: Eternal Engine (Martix Nawrot & Jagoda Wójtowicz), Karolina Grzywnowicz, Magda Jaroszewicz, Kinga Kiełczyńska, Jasmina Metwaly, Ania Nowak, Agnieszka Polska, Alicja Rogalska, Ewelina Rosińska und Marcelina Wellmer
Berlin Made Me Glad Sad Mad – Programm 1
Shooting Stars
R: Magda Jaroszewicz, PL/D 2019, 16 min, oT
Schnappschüsse einer Berliner Silvesternacht – doch wir wissen nicht, was wir wirklich sehen. Kippt der unbeschwerte Spaß um in eine Straßenschlacht? Bilder und Töne von Freiheit und frenetischem Vergnügen können auch Angst und Schrecken verbreiten. [wa/rm]
Unstable Rocks
R: Ewelina Rosińska & Nuno Barroso, D/PT 2024, 26 min, oT
In diesem subjektiven Porträt portugiesischer Landschaften fließen Geologie, Tiere und der Weg des Menschen ineinander. Das Filmmaterial aus den Jahren 2018–2023 thematisiert Naturschutz, Ethnografie, Landwirtschaft und Aktionen gegen Gentrifizierung. [wa/rm]
Green Belt
R: Karolina Grzywnowicz, PL/PS, 2024, 11 min, arab. OF
Die künstlerische Dokumentation zeigt kontaminierte Landschaften und die Art und Weise, wie Territorien markiert werden. Die Regisseurin erforscht die Politik der Bepflanzung und untersucht Pflanzen, die zur Tarnung von Gewalt eingesetzt werden. [wa/rm]
Lip Service
R: Ania Nowak, D 2023, 21 min, dt.-engl. OF mit Gebärdensprache
Gemeinsam mit der schwerhörigen Performerin Athena Lange greift Ania Nowak auf den visuellen Ausdruck von Stummfilmen zurück, um Wege der Kommunikation zu erkunden, die nicht auf dem Hörsinn und der verbalen Sprache basieren. [wa/rm]
14.09. / 16:30 / Wolf Kino / zu Gast: Magda Jaroszewicz & Ania Nowak, Moderation: Phoebe Blatton / Ticket-Link

„Lip Service“ von Ania Nowak © Janne Ebel
Berlin Made Me Glad Sad Mad – Programm 2
The Book of Flowers
R: Agnieszka Polska, RO/D 2023, 10 min, engl. OF
Der SciFi-Film kombiniert KI-unterstützte Animation mit einer 16-mm-Filmvorproduktion und zeigt eine alternative Geschichte der Ökologie, in der Blumen und Menschen seit Jahrtausenden in einer engen Symbiose leben. [wa/rm]
Dark Fibres
R: Alicja Rogalska, GE/D 2021, 5 min, georg. OF
Wir erleben ein Lied über Aasfresserei, wirtschaftliche Ausbeutung und die Post-Internet-Realität, vorgetragen von einem georgischen Chor, basierend auf der Geschichte einer Frau, die bei der Schrottsuche das Internetkabel zwischen Georgien und Armenien durchtrennte. [wa/rm]
Courtesy of Infinity
R: Kinga Kiełczyńska, D 2021/22, 11 min, engl. OF
Inspiriert von Alan Weismans „The World Without Us“ imaginiert der Film die Erde nach dem Verschwinden der Menschheit. Im Dialog zwischen einem Menschen und einer KI-Stimme entspinnt sich eine Meditation über das, was bleibt, wenn wir nicht mehr da sind. [wa/rm]
Homebook of Hallucination
R: Eternal Engine, PL 2023, 6 min, engl. OF
Der Video-Essay untersucht die „vernetzte Häuslichkeit“ im Kontext ihrer Peripherie. Wird die cyber-technologische Utopie mit ihrer vollautomatisierten Zukunft auch Bereiche der „technologischen Grenze“ umfassen, die traditionell am Rand der westlichen Welt liegen? [wa/rm]
Solid Landscapes
R: Marcelina Wellmer, D/SE 2022, 19 min, oT
Das Video verbildlicht das Wachstum menschengemachter Funktionslandschaften als Allegorie auf gesellschaftliche Prozesse, die sich in immer schnellerer Abfolge ereignen. Sind diese Industrielandschaften Realität, Traum oder unsere Zukunft? [wa/rm]
On this shore, here
R: Jasmina Metwaly, DE/BE/FR 2023, 23 min, engl. OF
Das animierte Triptychon erweckt eine Gorgone zum Leben. Die Gegenwart ist im Blick der Medusa eingefroren. Vergangenheit und Zukunft sind ein Mythos, den man entweder vergessen oder dem man optimistisch entgegensehen kann. [wa/rm]
14.09. / 19:30 / Wolf Kino / zu Gast: Alicja Rogalska, Kinga Kiełczyńska, Eternal Engine & Marcelina Wellmer, Moderation: Phoebe Blatton / Ticket-Link

„Courtesy of Infinity“ von Kinga Kielczyńska © Exile Gallery