5.06.2025 Literatur, Programm

Wissens- und Kulturtransfer durch Literatur | Diskussion im Rahmen des Deutsch-Polnisches Forums

Transkript des Gesprächs vom 5. Juni 2025 im Polnischen Institut Berlin

Wissens- und Kulturtransfer durch Literatur. Gespräche mit Literaturübersetzern, Verlegern, Literaturvermittlern, Kritikern und Vertretern von Übersetzungsförder- ungseinrichtungen im Rahmen des Deutsch-Polnisches Forums „Gemeinschaft für schwierige Zeiten“

Transkript des Gesprächs vom 5. Juni 2025 im Polnischen Institut Berlin

An dem Gespräch nahmen teil:

Jürgen Jakob Becker, Geschäftsführer des Deutschen Übersetzerfonds
Grzegorz Jankowicz, Direktor des Polnischen Buchinstituts
Lisa Palmes, Übersetzerin polnischer Literatur ins Deutsche
Zofia Sucharska, Übersetzerin deutscher Literatur ins Polnische
Katharina Raabe, Suhrkamp Verlag
Monika Sznajderman, Czarne Verlag

Moderation: Natalia Prüfer

Transkription und Redaktion: Helena Voelker, Natalia Prüfer, Karolina Golimowska

Katarzyna Sitko
Nach langer Pause kehrt das Deutsch-Polnische Forum in den Kalender der wichtigsten regelmäßigen Veranstaltungen zurück. Es wird von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit im Auftrag der Außenministerien der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Neben zahlreichen Podiumsdiskussionen zu Themen wie internationale Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Zukunft der Europäischen Union, findet auch diese Veranstaltung zum Thema Kultur statt. Genauer gesagt, geht es dabei um die Rolle literarischer Übersetzungen für das gegenseitige Verständnis und die Wahrnehmung von Polen und Deutschen. Ich freue mich sehr, dass wir als Polnisches Institut aktiv an der Durchführung des diesjährigen Forums mitwirken konnten und dabei vom Deutschen Übersetzerfonds unterstützt wurden. Zu der Diskussion haben wir Vertreter:innen von Verlagen, Institutionen, die Übersetzungen fördern, Literaturübersetzer:innen, Literaturförderer:innen und natürlich Leser:innen eingeladen.

Natalia Prüfer
„Gemeinschaft für schwierige Zeiten“ – so lautet der Titel des diesjährigen Deutsch-Polnischen Forums. Es dürfte niemanden überraschen, wenn ich sage, dass wir derzeit in wirklich schwierigen und unsicheren Zeiten leben. Parallel zu unserer Podiumsdiskussion finden derzeit Gespräche über Sicherheit, Politik und Kriege statt. Ich bin froh, dass die Organisator:innen das Thema Kultur und kultureller Austausch nicht aufgegeben haben, auch wenn es heute banal erscheinen mag und kaum jemand es für notwendig hält. Es gibt einige wichtige Themen, die ich in der heutigen Diskussion ansprechen möchte. Eines davon ist das Ungleichgewicht bei Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen ins Polnische und ins Deutsche.
Die neuesten Daten zu Literaturübersetzungen ins Polnische stammen aus dem Jahr 2023 und sind durchaus interessant. So zeigt sich, dass 2.881 Bücher aus dem Englischen übersetzt wurden. An zweiter Stelle steht die französische Sprache mit 590 Büchern, an dritter Stelle die deutsche Sprache, also deutschsprachige Literatur aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Mit nur 149 Titeln erscheinen diese Ungleichgewichte recht groß. In Deutschland wurden im Jahr 2022 hingegen 5178 Bücher aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. An zweiter Stelle steht die japanische Sprache mit 1.120 Büchern, was ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen habe. An dritter Stelle steht die französische Sprache mit 94 Titeln. Die polnische Sprache habe ich in dieser Aufzählung gar nicht gefunden. Ich schätze, dass es einige Dutzend Titel pro Jahr sind. Solche Untersuchungen wurden bis zum Jahr 2020 vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt durchgeführt. Ich weiß, dass diese Liste bald wieder aufgenommen und aktualisiert wird. Wie interpretieren Sie diese Daten?

Grzegorz Jankowicz
Ich freue mich, dass wir uns treffen können, um über Literatur zu sprechen. Sie ist, meiner Meinung nach, ein nicht offensichtliches, aber sehr wirksames Instrument, um die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland zu vertiefen. Derzeit erscheinen in Deutschland jährlich etwa 40 Übersetzungen aus dem Polnischen. Das Buchinstitut aus Krakau unterstützt diese Art von Aktivitäten. Wie ist diese Situation zu interpretieren? Je mehr verschiedene Instrumente – sowohl institutioneller als auch finanzieller Art – zur Verfügung stehen, desto größer wird der Austausch zwischen den Literaturkulturen beider Länder sein. Es ist auch sehr wichtig, dass Initiativen, die auf Verlagsebene ergriffen werden, auf der Ebene der Werbung ihre Fortsetzung finden. Die Tatsache, dass wir ein Buch unterstützen, das in deutscher Sprache erscheint – meist in sehr ambitionierten, oft experimentierfreudigen Verlagen –, bedeutet nicht, dass dieses Buch einen breiteren Vertrieb findet. Hier in Deutschland braucht es ein zusätzliches Sprungbrett.
Ich möchte hinzufügen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen einen wichtigen historischen Kontext für das Buchinstitut darstellen. Die Idee für unsere Kulturinstitution entstand schließlich Ende der 1990er Jahre im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für die Teilnahme Polens als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2000. Verantwortlich für diese Initiative war Albrecht Lempp, der später Leiter der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit wurde. Er sprach nie von „deutscher ” oder „polnischer” Literatur, sondern von „unserer polnischen Literatur” und „unserer deutschen Literatur”. Damit beseitigte er vor allem die mentalen Grenzen zwischen den Kulturkreisen. Bis heute vergeben wir das bilaterale Albrecht-Lempp-Stipendium. Wir engagieren uns für die Förderung der polnischen Literatur auf Buchmessen in Deutschland. Allerdings kann man nie genug Instrumente zur Förderung haben und die Intensität dieser Aktivitäten sollte ständig verstärkt werden. Ich möchte außerdem betonen, dass es weitere Instrumente gibt, mit denen die polnische Literatur in Deutschland gefördert wird. So gibt es beispielsweise das Josepha Literaturstipendium für polnische Schriftsteller:innen. In der Jury dieses Stipendiums sitzen Übersetzer:innen, Verleger:innen und Förderer aus Polen und Deutschland. Das ist großartig!

Natalia Prüfer
Um die Interpretation der zu Beginn genannten Zahlen bitte ich Herrn Jürgen Becker. Wir möchten betonen, dass der Deutsche Übersetzerfonds nicht nach den gleichen Grundsätzen wie das Buchinstitut arbeitet und Verlage nicht direkt unterstützt. Ich bin mir jedoch sicher, dass Sie auch etwas zur Anzahl der aus dem Deutschen ins Polnische übersetzten Bücher sagen können.

Jürgen Becker
Die genaue Statistik steht mir nicht zur Verfügung. Ich würde es auch gerne wissen, wie viele Übersetzungen aus dem Polnischen ins Deutsche es aktuell gibt. Es werden aber 40 bis 60 Bücher pro Jahr sein. Im Ranking der Länder bzw. der ins Deutsche übersetzten fremdsprachigen Werke taucht Polen auf dem Gesamtmarkt, glaube ich, auf Platz zwölf auf. Also unter den Top Ten ist es nicht. Wir vergeben Stipendien an Literaturbersetzer:innen. Das heißt, wir geben das Geld nicht an Verlage, sondern direkt an die Übersetzer:innen in Form von Stipendien. So können sie möglichst viel Zeit in ihre Arbeit investieren und qualitativ hochwertige Übersetzungen erstellen. Wir schaffen sozusagen ein Bewässerungssystem für diesen Übersetzerberuf, damit er auf hohem Niveau funktionieren kann. Fast überall auf der Welt wird am meisten aus dem Englischen übersetzt. Das ist kein überraschender Befund. Ungefähr 60 bis 70% entfallen auf das Englische, die anderen 30 bis 40% teilen sich auf alle anderen Fremdsprachen. Das ist seit der Nachkriegszeit so, es hat also keinen Sinn, sich darüber zu beklagen. Viele afrikanische, auch asiatische Autor:innen schreiben auf Englisch. Dadurch entsteht gewissermaßen eine globale Literatur, die natürlich interessant ist und auch bei uns in großer Zahl ankommt. Ich habe den Eindruck, dass Übersetzungen aus dem Polnischen ins Deutsche auf hohem Niveau stattfinden. Wenn ich mir anschaue, was hier in Deutschland von Joanna Bator, Tomasz Różycki, Olga Tokarczuk, Urszula Honek, Ziemowit Szczerek und Tadeusz Dąbrowski erscheint, dann sind das doch eigentlich die wichtigen Stimmen der polnischen Literatur. Das ist doch eigentlich auch normal, wenn nicht jedes Debüt sofort ins Deutsche übersetzt wird. Das Niveau der professionellen Literaturübersetzer:innen ist sehr hoch: Olaf Kühl, Renate Schmidgall, Esther Kinsky, Lisa Palmes, Bernhard Hartmann oder Thomas Weiler, um nur ein paar zu nennen, sind exzellente Vertreter:innen ihres Fachs. Das heißt, die Voraussetzungen für eine gute Vermittlung dieser Literatur sind auf jeden Fall gegeben. Ob es jetzt Platz sechs, sieben oder fünf in einem internationalen Ranking ist – das ist, glaube ich, zweitrangig.

Natalia Prüfer
Marcin Piekoszewski, der Gründer der Buchhandlung buchbund im Berliner Stadtteil Neukölln, hat hier im Polnischen Institut offen gesagt, dass sich die Deutschen nur dann für polnische Literatur interessieren, wenn sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg oder den wiedergewonnenen Gebieten befasst. Andernfalls sei es ziemlich schwierig, deutsche Verlage davon zu überzeugen, etwas aus Polen zu veröffentlichen. Stimmen Sie dieser These zu?

Katharina Raabe
Ehrlich gesagt, glaube ich, dass Marcin das im Kontext einer bestimmten Gesprächssituation polemisch zugespitzt hat. In den Verlagen suchen wir nicht nach Themen, sondern nach guter Literatur und herausragender Sprache. Ich habe mir die Zahlen angehört und wieder gedacht, dass durch solche Statistiken ein verzerrtes Bild entsteht. Denn wir müssen uns klarmachen: Anders als in vielen anderen Sprachräumen, ist die polnische Literatur in all ihrer Vielfalt seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des literarischen Lebens und der Buchkultur in Deutschland. Sie wird klug und engagiert entdeckt und übersetzt. Jürgen Becker hat das eben schon angedeutet. Natürlich haben wir eine bestimmte Idee von der polnischen Gegenwartsliteratur, die sich im Grunde auf bestimmte Elemente bezieht. Das eine ist, dass die ehemals von Deutschen bewohnten Gegenden Polens in jeder polnischen Autorengeneration seit 1989 neu entdeckt werden. Der größte Bucherfolg auf dem deutschsprachigen Markt im Jahr 2023 war Karolina Kuszyks Buch „In den Häusern der Anderen” – eine Mischung aus lebendiger Erzählung und Reportage. Für die einzigartige Qualität der polnischen Reportage-Schule hat uns unser Freund Martin Pollack seit vielen Jahren sensibilisiert. Das andere ist die Entdeckung des komplexen historischen Raums: die historischen Verwerfungen, die Grenzen: Oberschlesien, Niederschlesien, die Beskiden, der Osten, Ostgalizien – das sind Gegenden, in denen die Leser dank der polnischen Literatur Geschichtsreisen unternehmen können.
Ich möchte auch daran erinnern, dass es eine neue Bewegung gibt: die sogenannte Ökopoetik. In gewisser Weise ist das eine Fortführung der Geopoetik, die durch Autoren wie Andrzej Stasiuk und seinen ukrainischen Freund Juri Andruchowytsch geschaffen wurde. Wir beobachten das sehr aufmerksam und auch dank der Kompetenz unserer Übersetzer:innen mit großem Interesse. Ich bin immer heilfroh, wenn Bücher nicht nur deshalb gelesen werden, weil sie aus Polen, Slowenien, der Ukraine oder Vietnam kommen, sondern weil sich die Namen der Autor:innen durchgesetzt haben und man etwas mit ihnen verbindet: „Aha, das ist jetzt das nächste Buch von Ziemowit Szczerek oder hier kommt eine neue Bator.” Ich kann gar nicht alle aufzählen, die sich in den letzten zwanzig und mehr Jahren bei uns etabliert haben. Und wie bereits gesagt, gibt es in dieser Szene Buchhandlungen, engagierte Verlage und einen sehr engen Austausch zwischen der deutschen und der polnischen Verlagsszene. Wir haben also keinen Grund zu klagen. Ich will noch auf etwas Wichtiges hinweisen: Polnisch ist eine Schlüsselsprache, um die Literaturen „weiter östlich“ zu erschließen, etwa die belarussische oder die litauische. Auch die ukrainischen Autor:innen fanden vor über 20 Jahren über Polen auf unseren Markt: Niemand bei uns las damals kompetent Ukrainisch; Urteile über neue Texte erfolgten auf der Grundlage von Übersetzungen ins Polnische. So beklagenswert war damals die Lage der ukrainischen Literatur in Deutschland. Wir hatten nie genug Übersetzer:innen und nie einen solchen historischen Tiefenraum, den man erforschen konnte, wie das in Polen der Fall war. Doch das hat sich inzwischen geändert. Also kein Grund zu klagen – weitermachen!

Jürgen Becker
Ich kann das nur bestätigen. Wie ich vorhin schon sagte, sehe ich das Ganze auf einem ziemlich hohen Niveau. Mit Olga Tokarczuk gibt es eine Nobelpreisträgerin, die auch in Deutschland die Säle füllt, wenn sie Lesungen gibt. Vor zwei Wochen hatten wir eine Lesung mit Szczepan Twardoch im Literarischen Colloquium, das Haus war ausverkauft. Ja, es ist wirklich sehr viel los. Es gibt Zugpferde und alle möglichen Satellitenaktionen, wie zum Beispiel die Neuübersetzung von Klassikern: Werke von Bolesław Prus, Maria Kuncewiczowa, Andrzej Bobkowski – sind alle in den letzten Jahren in deutschen Verlagen erschienen, was ich sehr beachtlich finde. Man geht nicht in die Buchhandlung und sagt: „Endlich mal ein Buch über den Zweiten Weltkrieg von den Polen.” Das ist ja kein Suchschema, mit dem man in die Buchhandlung geht.

Grzegorz Jankowicz
Diese von Marcin Piekoszewski zitierte Überzeugung ist wahrscheinlich eines der Stereotype, das sich im Laufe der polnisch-deutschen Beziehungen im Bewusstsein der deutschen Gesellschaft verfestigt hat. Das hat jedoch keinen Einfluss auf die Aktivitäten der deutschen Verlage. Diese bitten uns nämlich um finanzielle Mittel zur Förderung der Prosa von Autor:innen wie Dorota Masłowska, Grzegorz Kasdepke, Zofia Nałkowska, Magdalena Parys, Maciej Siembieda, Adam Mickiewicz, Sabina Jakubowska, Stefan Grabiński, Ishbel Szatrawska und Zyta Rudzka. Was fehlt? Wie ich bereits sagte, es fehlt ein Sprungbrett für die Werbung, also eine Möglichkeit, neue Geschichten in die deutsche Kultur und gesellschaftliche Diskussionen einzubringen und somit die Grenzen enger intellektueller Kreise und Lesergemeinschaften zu überschreiten.

Natalia Prüfer
Das Thema Werbung ist generell sehr wichtig, insbesondere im Hinblick auf Literatur in Polen und Deutschland. Ich wende mich nun an Frau Monika Sznajderman, die Mitbegründerin des in Polen sehr bedeutenden und bekannten Verlags Czarne. Wie oft erreichen Sie deutschsprachige Texte? Und was entscheidet darüber, ob sie veröffentlicht werden oder nicht? Für welche deutschsprachigen Autoren entscheidet sich der Verlag Czarne beispielsweise?

Monika Sznajderman
Zugegeben, es sind wenige. Ja, manchmal schicken Übersetzer:innen ihre Vorschläge, aber deutsche Literatur ist nicht die erste Wahl. Vor etwa 20 Jahren haben wir in unserer Reihe „Inna Europa, inna literatura” („Anderes Europa, andere Literatur“) viel deutsche Literatur veröffentlicht. Als ich mir diese Namen noch einmal angesehen habe, ist mir aufgefallen, dass es von Anfang an vor allem Namen von Autor:innen mit Migrationshintergrund waren, die aus der Türkei, aus Ungarn und aus Rumänien nach Deutschland gekommen waren. Sie stellten eine interessante Herausforderung für die Übersetzenden dar, da sie die Sprache von innen heraussprengten und veränderten. Dies ermöglichte keine einfachen Lösungen, sondern zwang die Übersetzer:innen, nach einer neuen Sprache zu suchen. Mich selbst interessiert, warum es in Polen so wenig deutsche Literatur gibt, während die österreichische Literatur einen Kultstatus hat. Ich habe mit vielen Menschen darüber gesprochen und die meisten von ihnen bestätigten, dass die österreichische Literatur in Polen einen anderen Bezug zur Vergangenheit hat. Die preußische Teilung war nicht so „cool” wie die österreichische, an die viele Menschen aufgrund ihrer Familienerinnerungen noch immer irgendwo in ihrem Herzen gebunden sind. Der Verlag Czarne hat Reportagen von Reportern wie Wolfgang Bauer und Wolfgang Büscher veröffentlicht und wird in Kürze Peter Flamm veröffentlichen. Natürlich setzen wir auch die Veröffentlichung von Herta Müller fort. Wenn wir jedoch nach jungen literarischen Stimmen suchen, suchen wir sie eher nicht unter deutschen Schriftsteller:innen.

Natalia Prüfer
Ich werde den Literaturübersetzerinnen also eine ähnliche Frage stellen. Reicht Ihr Eure Übersetzungsvorschläge bei Verlagen ein? Wie reagieren diese darauf?

Zofia Sucharska
Die Reaktionen waren und sind unterschiedlich. Dem, was bereits über die in Polen veröffentlichte deutsche Literatur gesagt wurde, kann ich mich tatsächlich anschließen – es ist nicht einfach. Man kann einem Verlag zwar ein Buch vorschlagen, aber es gibt keine Gewissheit, dass daraus etwas wird. Was negative Reaktionen angeht, habe ich sehr oft Folgendes gehört: „Das Thema klingt toll, aber es wird sich einfach nicht verkaufen.“ Ein interessantes Thema, ein interessanter Autor oder eine interessante Autorin, in Deutschland ein Bestseller, aber in Polen wird daraus nichts. Ich habe sogar die Aussage gehört: Je weniger deutsch der Name klingt, desto besser. Ich hatte viel Glück und konnte als angehende Übersetzerin einige Bücher vorschlagen, die auf Polnisch erschienen sind. Erwähnenswert ist, dass kleine Verlage großartige Arbeit leisten, auch für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Sie sind mutiger und oft offen für Dinge, die vielleicht keine Verkaufsschlager werden, die aber einfach interessant, wichtig und wertvoll sein können.

Natalia Prüfer
Lisa, welche Erfahrungen hast du mit Übersetzungen aus dem Polnischen ins Deutsche gemacht?

Lisa Palmes
Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Zum Ende meines Studiums 2007 habe ich ein Buch gelesen, das mich begeisterte, eine Reportage von Michał Olszewski, und ich dachte, die muss unbedingt auf Deutsch erscheinen. Ich habe sie zwei, drei Jahre lang verschiedenen Verlagen angeboten. Meistens kam überhaupt keine Antwort. Lustigerweise kam die letzte Absage – von welchem Verlag, weiß ich nicht mehr – erst 2014, ich hatte das Buch seit 2009 angeboten, da hätte es ja längst veröffentlicht werden können. Dank eines Tipps der Übersetzerin Renate Schmidgall habe ich damals beim Buchinstitut Krakau angefragt, ob eine Übersetzungsprobe gefördert werden könne. Man sagte mir, dass so etwas eigentlich nur bewilligt werde, wenn man schon etwas veröffentlicht hat. Wenn ich aber einen entflammten Brief schreiben würde, warum gerade dieses Buch auf Deutsch erscheinen muss, würden sie mir die Förderung vielleicht auch so geben. Und das habe ich dann getan. Joanna Czudec vom Buchinstitut hat mir freundlicherweise die Förderung bewilligt und auch den WAB-Verlag auf mich aufmerksam gemacht, der mich daraufhin gebeten hat, Übersetzungsproben von vier aktuellen Büchern anzufertigen. Damit hatte ich dann Glück, zwei davon sind in meiner Übersetzung erschienen: ein Krimi von Bartłomiej Rychter und die Reportage „Wanderer der Nacht” von Wojciech Jagielski. Den herausgebenden Transit Verlag habe ich selbst gefunden, es ist ein kleiner Verlag, in dem jedes Frühjahr und jeden Herbst vier thematisch zueinander passende Bücher erscheinen. Jagielskis Buch handelte von den Kindersoldaten in Uganda. Und Transit hatte für das Frühjahr das Thema Afrika. Das war also ein ganz besonderer Zufall. Der andere Verlag war dtv. Sie wollten es mit polnischen Krimis versuchen. Dadurch hat sich mir eine Tür geöffnet.
Glücklicherweise kommen heute die Verlage meist auf mich zu. Meine Autorinnen Olga Tokarczuk und vor allem Joanna Bator schreiben beide aktiv und sind im deutschsprachigen Raum bekannt. Das heißt, wenn neue Werke erscheinen, wenden die Verlage sich an mich bzw. – bei Tokarczuk – auch an meinen Übersetzertandem-Partner Lothar Quinkenstein. Wenn sich die Bücher dann gut verkaufen, kann man davon ausgehen, dass auch weitere Bücher übersetzt werden sollen. Ich biete zwar Verlagen noch Bücher an, habe aber gar nicht mehr so viel Zeit dafür.

Natalia Prüfer
Kannst du mir verraten, woran du gerade arbeitest?

Lisa Palmes
Ich fange jetzt mit Barbara Klickas Roman „Reneta“ an. Der Mauke Verlag ist mit der Anfrage auf mich zugekommen. Zuletzt habe ich Erzählungen von Joanna Bator übersetzt. „Die Flucht der Bärin“ heißt der Arbeitstitel auf Deutsch. Eine Rohfassung der Übersetzung habe ich Katharina Raabe vor wenigen Tagen geschickt, später werde ich den Text noch überarbeiten.

Natalia Prüfer
Großartig! Und Zofia, woran arbeitest du gerade?

Zofia Sucharska
Ich arbeite an einem Buch, das ich auch empfohlen habe – also doppeltes Glück. Es ist ein österreichisches Buch, das in der bekannten österreichischen Tradition geschrieben ist, aber dennoch anders ist, da es sich um ein queeres Coming-of-Age-Buch handelt, das in einem kleinen Bergdorf in Österreich spielt. Die Hauptfigur verliebt sich in ihre Nachbarin und erzählt Geschichten über ihre Nachbarn. In dieser kleinen Gemeinde verbergen sich hinter der Fassade einer perfekten Welt die schlimmsten Dinge. All das kennen wir aus der Tradition von Bernhard und Jelinek. Die Figuren sind in den Nationalsozialismus verstrickt und machen daraus auch keinen Hehl.

Natalia Prüfer
Wir haben also Bezüge zum Nationalsozialismus.

Zofia Sucharska
Ja, diese Anspielungen sind sehr elegant in die gesamte Geschichte eingewoben. Es gibt zum Beispiel das Thema Kirche und Patriarchat. Die Autorin heißt Julia Jost und die Figuren sprechen untereinander Österreichisch. Im Kärntner Dialekt, und alles ist phonetisch transkribiert.

Natalia Prüfer
Wie gehst du damit um? Es ist toll, dass du das angesprochen hast, denn es passt perfekt zu einem weiteren Thema, das ich unbedingt mit euch besprechen wollte: Künstliche Intelligenz. Habt ihr keine Angst, dass der Beruf des Literaturübersetzers bald durch Maschinen und Algorithmen ersetzt wird? Oder hilft euch KI vielleicht sogar bei der Arbeit?

Zofia Sucharska
Das ist ein schwieriges Thema, das eine separate Diskussion erfordert und mit großen Emotionen verbunden ist – insbesondere in unserer Übersetzungswelt. Ich betrachte dieses Thema mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen und weiß selbst nicht, in welchem Verhältnis diese beiden Gefühle zueinanderstehen. Wenn ich mir die Meinungen von Experten zu den durch KI verursachten Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anhöre, wird mir klar, dass sich in den nächsten Jahren alles, was mit Sprachen zu tun hat, in irgendeiner Weise verändern wird. Künstliche Intelligenz wird zweifellos einen sehr großen Einfluss darauf haben. Literarische Übersetzungen sind jedoch meiner Meinung nach eine Ausnahme. Der menschliche Faktor ist bei literarischen Übersetzungen so wichtig, dass Maschinen das noch nicht leisten können. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Hoffen wir, dass sich daran in den nächsten Jahren nichts ändern wird. Denn klar ist, dass ein Text nicht nur gut gemacht sein muss. Es geht um seinen Charakter, seine emotionale Bedeutung, den kulturellen Kontext und so weiter.

Natalia Prüfer
Sinn für Humor und Ironie …

Zofia Sucharska
Ja, obwohl künstliche Intelligenz das bereits kann. Wir können als Übersetzer:innen nicht so tun, als gäbe es dieses Thema nicht und als würde es uns nicht betreffen.

Lisa Palmes
Ich schließe mich an. Manchmal probiere ich KI aus, gebe etwas ein oder frage irgendetwas, und auf den ersten Blick klingt die Antwort ganz plausibel. Auch Übersetzungen mit Deepl lesen sich erst einmal ganz gut. Aber wenn man dann genau hinschaut, ist es doch nicht treffend, oft sind Verbindungen innerhalb eines Satzes falsch verknüpft oder ähnliches. Was ich schwierig finde, ist, dass es offenbar bei den Verlagen Ansätze gibt, Texte ganz von der KI übersetzen zu lassen. Die Übersetzer:innen sollen dann nur noch lektorieren. Das ist extrem schwierig, finde ich, und geht übrigens auch kein bisschen schneller. Wenn etwas schon vorformuliert ist von der KI, verliere ich völlig meine eigene Vorstellung davon, wie dieser Satz klingen soll.

Katharina Raabe

Das ist zutiefst ambivalent. Ein Übersetzer, der sich sozusagen seinen eigenen KI-Ton schafft, ist immer noch ein Übersetzer. Es ist ein Albtraum, sich vorzustellen, dass alle Bücher nach diesem KI-Übersetzer-Ton klingen, egal wie unterschiedlich sie sind. Die Prosa von Julia Jost ist das beste Beispiel dafür, wie man die KI austricksen kann. Ich will ein kurzes Beispiel nennen, das die tiefe Ambivalenz verdeutlicht. Wir haben kürzlich ein Buch aus dem Slowakischen geprüft. Normalerweise reichten früher ein Gutachten und 20 Seiten Probeübersetzung, um eine Entscheidung zu fällen, ob wir ein Buch in das Osteuropaprogramm aufnehmen wollen oder nicht. Inzwischen sind wir ein generelles internationales Lektorat – alle wollen mitlesen. Da kam die Idee auf, das ganze Buch von Deepl Pro übersetzen zu lassen. Es war hochinteressant zu sehen, dass alles weg war, was diesen Text reizvoll machte. Da der Text jedoch mit einer bestimmten Metapher arbeitet, die um die Farbe Blau kreist, ließen sich mit Volltextsuche bestimmte Schlüsselstellen des Buches leicht finden. Von Aufbau, Plot und Figurenführung konnten wir uns ebenfalls ein Bild machen. Die KI war ein exzellentes Instrument, um Dinge zu rekonstruieren, die wir uns aus den 20 Seiten Probeübersetzungen allein nicht erschließen konnten. Zugleich war sonnenklar, dass keine KI dieses Buch je würde übersetzen können, denn der Witz, der Ton, die Farbnuancen und vor allem die Ironie blieben auf der Strecke. Übersetzer:innen müssen auf die unterschiedlichsten Werke reagieren und an ihnen ihre je eigene Stimme entfalten. Ambivalent ist die Sache schließlich auch noch, weil die Übersetzer:innen aus sogenannten kleinen Sprachen wie dem Slowakischen noch nicht von der KI ersetzt werden können. Je mehr die KI mit Experimenten wie dem unseren angefüttert wird, desto mehr arbeiten wir daran mit, dass sich das ändert.

Grzegorz Jankowicz
Lassen Sie mich kurz auf das von Zofia Sucharska angesprochene Thema zurückkommen. Es wurde gesagt, dass kleine Verlage experimentierfreudig sind, Risiken eingehen und Verlagsentscheidungen treffen, für die sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch inhaltliche Gründe finden. Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die aus Leidenschaft handeln, solche Experimente eher wagen. Alle Instrumente, über die staatliche Institutionen verfügen, sollten zur Unterstützung dieser Akteure eingesetzt werden! (Beifall) Wenn wir das Offensichtliche beklatschen, bedeutet das, dass es uns nicht so gut geht. Auch kleine Unternehmen müssen Geld verdienen. Die Menschen, die diese Dinge tun, sollten angemessen verdienen und ein gutes Leben führen können.
Was die KI betrifft, so werden sich die Werkzeuge der künstlichen Intelligenz früher oder später auch auf literarische Übersetzungen spezialisieren. Natürlich wird menschliches Eingreifen erforderlich sein, das sich jedoch eher auf die Redaktion oder Korrektur beschränken wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir keine Übersetzer:innen mehr brauchen! Wir brauchen sie dringend! Künstliche Intelligenz wird keine bilateralen Beziehungen zwischen Staaten unterhalten und über den Umfang unserer gemeinsamen kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Interessen entscheiden.

Natalia Prüfer
Vielen Dank für diesen Beitrag. Monika Sznajderman hat zugegeben, dass sie nur wenige Bücher aus dem Deutschen herausgibt, und möchte diesen Gedanken nun fortsetzen.

Monika Sznajderman

Ja, danke. Es gibt sicherlich viele Gründe dafür. Ein Beispiel sind die Bücher, die mit dem renommierten Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurden. Sie werden übersetzt und in Polen veröffentlicht, aber keines davon hat in der Welt der Leser:innen für Aufsehen gesorgt. Es geht nicht einmal um gute Verkaufszahlen. Es geht darum, dass die österreichische Literatur eine Geschichte über sich selbst zu erzählen hat. Sie greift zwar auf Stereotypen zurück, hat aber etwas, das wir kennen und aufnehmen können. Meiner Meinung nach hat die deutsche Literatur keine solche Geschichte zu erzählen, weshalb sie die polnischen Leser:innen derzeit nicht reizt. Das gilt übrigens nicht nur für die Literatur: Generell interessieren sich die Polen nicht für das heutige Deutschland. Ich möchte das nicht auf Ressentiments zurückführen, denn ich denke, dass inzwischen so viel Zeit vergangen ist, dass dies kaum der Grund für das mangelnde Interesse sein kann. Deshalb ist die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, persönliche Empfehlungen und das Engagement einzelner Menschen als Botschafter:innen so wichtig. Ich schätze die Aktivitäten von Förderern der österreichischen Literatur sehr, zum Beispiel Agnieszka Borkiewicz. Es gelingt ihr immer, Interesse an der Literatur zu wecken. Mundpropaganda und Empfehlungen sind wichtig, und die österreichische Literatur hat das in Polen, die deutsche Literatur hingegen nicht.

Natalia Prüfer

Sie haben ein sehr wichtiges Thema angesprochen: das mangelnde Interesse der Polen an Deutschland und umgekehrt. Unter den Zuhörer:innen befindet sich heute Frau Dominika Kasprowicz, Direktorin der Villa Decius in Krakau. In der Villa fand vor einigen Monaten eine Diskussion zu einem ähnlichen Thema statt. Außerdem werden dort verschiedene deutsch-polnische Kulturprojekte organisiert. Interessieren sich die heutigen Polen für die heutigen Deutschen?

Dominika Kasprowicz

Ich vertrete einen Ort, der in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich ist. Nach einigen Jahren Pause haben wir in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut in Darmstadt den Karl-Dedecius-Preis für die besten Übersetzer:innen polnischer Literatur ins Deutsche und deutscher Literatur ins Polnische wieder eingeführt. Wir sind überzeugt, dass man einen sicheren Raum für Begegnungen, Dialog und Diskussionen schaffen muss, um das Interesse anderer zu wecken. Wir greifen auch auf immer neue, ungewöhnliche Formate zurück. Dazu gehören Stipendienaufenthalte sowie Übersetzungs-, Schreib- und Poesie-Stipendien, aber auch Stipendien für Theaterleute und Dramatiker:innen. Letztere schreiben Stücke über die deutsch-polnischen Beziehungen, die im Słowacki-Theater in Krakau aufgeführt werden. Es sind bereits acht Theaterstücke zu diesem Thema entstanden. Ein weiteres, äußerst interessantes, Format sind Drehbücher für narrative Spiele. Sie wären überrascht, zu erfahren, welches Bild von den Nachbarn in Bezug auf die Geschichte und Gegenwart jemand hat, der die Welt durch die Brille von Spielen kennenlernt. Immer mehr Institutionen aus Deutschland stellen die Frage nach der Möglichkeit, zu uns zu kommen und mit uns zusammenzuarbeiten. Wir engagieren uns für die Förderung des gegenseitigen Interesses zwischen Polen und Deutschen.

Natalia Prüfer
Es gibt viele Formate, die den kulturellen Austausch fördern sollen. Heute kommen wir zurück zur Literatur und zu Übersetzungen. Mit uns ist Anne-Bitt Gerecke vom Goethe-Institut, die uns über das Programm Litrix berichten wird. Was ist das?

Anne-Bitt Gerecke
Ich arbeite im Bereich Literatur- und Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts. Wir fördern Übersetzungen weltweit und reagieren auf Anträge von Verlegern aus aller Welt, die deutschsprachige Literatur – aktuelle Titel ebenso wie Klassiker – in ihren Landessprachen herausbringen wollen. Ich bin schwerpunktmäßig für das Litrix-Programm zuständig. Das ist ein angebotsorientiertes Programm. Das heißt, wir bemühen uns aktiv darum, sowohl etablierte als auch junge Stimmen der deutschsprachigen Literatur international bekannt zu machen. Zu diesem Zweck setzen wir jeweils für drei Jahre bestimmte Sprachschwerpunkte. Zunächst waren es die großen Sprachräume wie z.B. Arabisch, Spanisch oder Chinesisch, seit 2019 liegt unser Fokus auf Europa. Mit unseren europäischen Nachbarn stärker in den Austausch zu kommen, ist gerade in schwierigen Zeiten von besonderer Bedeutung. Ich freue mich daher sehr, dass wir seit Anfang des Jahres Polen als Schwerpunkt haben. Unser Programm sieht vor, dass wir auf unserer Website litrix.de auf Deutsch, Englisch und in den nächsten drei Jahren auch auf Polnisch interessante Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vorstellen.
Wir präsentieren die von unserer polnisch-deutschen Jury ausgewählten Bücher mit Besprechungen, kurzen Infos zu den Autor:innen und zum Verlag sowie, was ganz wichtig ist, mit Leseproben. Unser Programm bezieht sich auf das gesamte Spektrum der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, also Kinder- und Jugendliteratur, Sachbücher, Belletristik und Graphic Novels, und soll als Schaufenster und als Angebot fungieren, über die Bücher miteinander ins Gespräch zu kommen. Für alle auf Litrix.de vorgestellten Bücher garantieren wir die Erstattung der gesamten Übersetzungskosten. Außerdem gewähren wir einen Zuschuss zu den Lizenzkosten. So halten wir die heute schon wiederholt angesprochenen verlegerischen Risiken möglichst gering und ermöglichen es auch kleineren Verlagen, Übersetzungsprojekte zu realisieren, indem sie nur noch die Bereiche Herstellung, Werbung und Vertrieb selbst abdecken müssen. Damit der deutsch-polnische Literaturaustausch nachhaltig wirken kann, bemühen wir uns auch, das Netzwerk zu stärken, Begegnungen zwischen Autor:innen zu ermöglichen und Workshops für Übersetzer:innen anzubieten. So werden wir z.B. im August gemeinsam mit der Villa Decius in Krakau eine einwöchige Akademie für junge Übersetzer:innen durchführen, die kurz vor dem Einstieg in den Beruf stehen. Unser Polen-Schwerpunkt hat ja gerade erst begonnen, daher freue ich mich sehr, heute die Gelegenheit zu haben, viele der polnischen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen!

Natalia Prüfer
In dieser Runde haben wir sicherlich viele interessante Dinge zum Thema Literatur zu sagen. Es ist kein Zufall, dass wir uns heute alle hier im Polnischen Institut getroffen haben. Ich eröffne nun offiziell unsere Diskussion und lade das Publikum dazu ein, sich zu äußern. Haben Sie Fragen an unsere Gäste? Möchten Sie über Ihre Initiativen, Ideen oder Probleme im Zusammenhang mit dem Transfer von Literatur und Wissen berichten?

Jürgen Becker
Zur Frage, wie die deutsche Literatur derzeit wahrgenommen wird: Ich glaube, dass sich die deutsche Literatur in den letzten Jahren sehr stark gewandelt hat. Sie ist sehr vielfältig. Wir leben in einer Migrationsgesellschaft und es ist selbstverständlich, dass sich der literarische Diskurs oder auch die Vergabe großer Buchpreise an Leute wie Terézia Mora, die aus Ungarn kommt oder Feridun Zaimoglu, der türkische Wurzeln hat, dem stellen. Das ist heutzutage in der deutschen Literatur eine Selbstverständlichkeit. Einerseits könnte man denken, dadurch ist die deutsche Literatur international noch anschlussfähiger geworden. Andererseits höre ich immer wieder, dass im englischsprachigen Raum gesagt wird: „Das Thema Migration haben wir in unserer Literatur selber, da müssen wir jetzt nicht auch noch die Migrationsgeschichten aus Deutschland hören.” Aber letztlich kommt es immer auf die literarische Qualität an. Es fehlt vielleicht in der deutschen Literatur an Autor:innen, auf die international wirklich Bezug genommen wird.
Was ich noch loswerden wollte, ist eigentlich eine Frage an Grzegorz Jankowicz: Wäre es nach 25 Jahren nicht an der Zeit für einen neuen Ehrengast-Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse? Es hat damals so viel bewegt. Es hat auch Ihr Institut sozusagen aus der Taufe gehoben. Es wäre, glaube ich, ein großer Energieschub, der sehr viel bewirken könnte, wenn wir auf eine neue Stufe kämen, obwohl wir heute wirklich ziemlich weit gekommen sind.

Grzegorz Jankowicz
Vielen Dank. Polen als Ehrengast in Frankfurt? Diese Frage höre ich in letzter Zeit immer wieder. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns auf jeden Fall sehr ernsthaft annehmen werden.

Monika Sznajderman

Ich möchte nur noch hinzufügen, dass wir der Literaturkritik heute nur wenig Raum gewidmet haben. In Polen hat sie einen völligen Niedergang erlebt, was sich stark auf die Förderung ausländischer Literatur auswirkt. Es gibt keine Orte, an denen Kritik veröffentlicht werden kann, und es gibt auch keine Kritiker:innen, sondern eher Journalist:innen, die den einfachen Weg gehen, keine neuen Schriftsteller:innen entdecken und lediglich irgendwelche Notizen machen, aber keine Kritiken schreiben.

Grzegorz Jankowicz
Wir versuchen, in Polen etwas dagegen zu unternehmen. So hat das Buchinstitut kürzlich das Internetportal „Dzienniki Literacki” eröffnet. Dort veröffentlichen wir kritische Besprechungen von Publikationen und literarischen Veranstaltungen, zu denen die breite Öffentlichkeit keinen Zugang hat, weil sie beispielsweise in kleineren Orten organisiert werden.

Beata Zuzanna Borawska
Ich vertrete den Literaturclub „Cudowne Kobiety” (Wunderbare Frauen) in Berlin. Den Club leiten sieben Frauen, sechs Emigrantinnen aus Polen, die in Berlin leben, und ich aus der Grenzregion, genauer gesagt aus Stettin. Wir trafen uns zu Hause und schrieben. Das Ergebnis unserer Arbeit ist eine Sammlung von Erzählungen, die am 17. Mai dieses Jahres im KLAK Verlag erschienen ist. Es grenzt an ein Wunder, einen polnischen Verlag für so etwas zu begeistern, aber wir werden von unserer Leidenschaft und Liebe zur Literatur angetrieben und wollen uns weiterentwickeln. Wir fühlen uns jedoch absolut unsichtbar. Es ist eine Arbeit im Bereich der Mikronarrative, die von außerordentlicher Bedeutung ist und auf dem Markt fehlt. Denn die emigrierten Schriftstellerinnen in unserem Club sind Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren und ihre Stimme sollte sichtbar sein. Verschiedene Motive haben sie nach Berlin geführt, was sich in ihren Texten widerspiegelt. Haben Sie eine Idee, ob es überhaupt Raum gibt, solche Initiativen zu unterstützen?

Grzegorz Jankowicz
Das ist eine großartige Geschichte. Das Buchinstitut verfügt über zahlreiche Instrumente, mit denen es auch kleinere Initiativen wie Buchclubs unterstützen kann. In Polen gibt es etwa 2.000 davon. Vielleicht könnten sie Ihnen helfen? Ich habe im Moment keine einfache Antwort für Sie, aber solche Treffen, solche Gruppen, solche Gemeinschaften sind für das Buchinstitut sehr wichtig. Ich empfehle Ihnen außerdem, sich mit dem Programm „Inne Tradycje” (Andere Traditionen) vertraut zu machen.

Agata Koch

Ich vertrete das Sprachcafé Polnisch in Berlin und bin außerdem Autorin. Seit 13 Jahren sind wir ein offener Treffpunkt für die polnische Sprache und Kultur in Berlin-Pankow. Seit zwei Jahren gibt es einen zweiten Standort im Süden der Stadt, in der Nähe des Bahnhofs Südkreuz. Es ist ein Treffpunkt für kreative Menschen, die Kunst leben und ihre Leidenschaft teilen möchten. Die polnische Sprache steht hier eindeutig im Mittelpunkt, aber wir haben auch viele Anfragen von Künstler:innen, die mit anderen Sprachen arbeiten, vor allem mit Deutsch. Wir organisieren Treffen für Autor:innen und Übersetzer:innen, Workshops und betreiben eine Bibliothek. All das geschieht von unten. Dieser Raum, den wir auch für andere Disziplinen wie Ausstellungen, Musik oder Sprachprogramme für Kinder nutzen, ist sehr wichtig. Ich weiß nicht, inwieweit Sie darüber informiert sind, aber solche Vereine haben es in Berlin immer schwerer, Fördermittel zu bekommen. Wenn Sie also Ideen zur Förderung der polnischen Kultur in Deutschland haben, wenden Sie sich bitte an uns.

Karolina Golimowska
Ich möchte noch einmal kurz auf das Thema künstliche Intelligenz in der Literaturübersetzung zurückkommen und darauf, ob man sich etwas Positives in Bezug auf die Arbeit mit KI vorstellen kann. Ich wende mich an die Übersetzerinnen: Würde es Euch helfen, wenn Ihr Zugang zu einer Datenbank hätten, in der Beispiele dafür zu finden sind, wie Kärntnerisch, Steirisch oder jede andere Sprache zuvor übersetzt wurde? Oder die Idee, die Lisa hatte, nämlich eine Software zu entwickeln, mit der eigene Übersetzungen zur Verfügung gestellt werden können. Könntet Ihr euch vorstellen, ein solches Glossar zu erstellen? Seht ihr irgendwelche positiven Aspekte in der Arbeit mit künstlicher Intelligenz?

Zofia Sucharska
Das ist eine sehr interessante Frage. Einerseits wäre es tatsächlich sehr interessant, etwas überprüfen zu können und Zugang zu einer Datenbank zu haben, in der es viele Inspirationen aus anderen Quellen gibt. Andererseits möchte ich noch einmal auf den menschlichen Faktor zurückkommen. Da ich gerade das erwähnte Buch übersetze, möchte ich mich an die Übersetzer:innen ins Niederländische und Englische wenden und sie einfach fragen, wie sie das gelöst haben. Zwischenmenschliche Kontakte und der Aufbau von Beziehungen zu Menschen, die das Gleiche tun, beispielsweise in einem anderen Land, scheinen mir von unschätzbarem Wert zu sein.

Lisa Palmes

Eine größere Datensammlung, an der man sich orientieren kann… Das ist bestimmt interessant. Um an das anzuknüpfen, was Katharina eben noch einwandte: Selbst, wenn es gelingen würde, ein personalisiertes KI-Übersetzungsprogramm so mit eigenen Übersetzungen zu füllen, dass es zukünftige Texte im spezifischen Stil des betreffenden Übersetzers übersetzt, ist es doch so, dass ein Übersetzer oder eine Übersetzerin nicht jeden Text nach dem gleichen Muster übersetzt. Das heißt, ein solches Programm nützt letzten Endes vielleicht gar nichts. Ich bin also auch eher skeptisch. Natürlich möchte man sich nicht selbst wegrationalisieren, aber ich vermute, dass wir in gewisser Weise in Zukunft mit KI arbeiten werden. Aber ich weiß jetzt auch noch überhaupt nicht, wohin das führen wird. Ich habe zum Beispiel kein Interesse daran, mir dieses personalisierte Programm zu kaufen, weil ich gerne selbst an meinen Texten arbeite und mir meine eigenen Einfälle nicht verderben möchte. Ich möchte nicht, dass mir eine Maschine vorschreibt, wie es klingen könnte, denn dann vergesse ich meine eigenen Ideen. Das ist auch eine Sache von Intuition, die möchte ich nicht verlieren. Sie ist das Wichtigste beim Übersetzen. Ich muss aus mir heraus spüren, wie eine Übersetzung klingen soll. Wenn man dieses Gespür nicht hat oder verliert, klingen die Übersetzungen hölzern und alle wie aus einem Guss.

Scheduled Literatur Programm

Meet Polish Cinema #6: Córki dancingu /

BERLIN / 19:00 / Langfilm-Debüt von Agnieszka Smoczyńska
17 12.2025 Film, Programm

KVOST SchauFenster: Patryk Kujawa 🗓

BERLIN / Installation über die Baustelle als Ort der Erschöpfung und Fragilität
04 12.2025 25 01.2026 Ausstellung, Programm

Pod szarym niebem / Under The Grey

BERLIN / 18:30 / Film und Gespräch mit der Regisseurin Mara Tamkovich
12 12.2025 Film, Programm, Vortrag