Hommage an Wojciech Kilar


Programmschwerpunkt „Geschichte und Bildung“

Wikipedia / Cezary p / CC BY-SA 4.0

Als besonders wagemutiger Komponist von Liebhaber*innen der europäischen Nachkriegsavantgarde geschätzt, hat der 1932 in Lwiw geborene und 2013 verstorbene Musiker Wojciech Kilar auch die Filmmusik nachhaltig geprägt. Sein filmmusikalisches Œuvre schließt Werke für große internationale Produktionen wie „Bram Stoker’s Dracula“ ebenso ein wie Kompositionen für Autorenfilmer, darunter vor allem Krzysztof Zanussi und Kazimierz Kutz. Über 100 Titel umfasst Kilars Filmografie.

In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre an der Musikakademie Katowice ausgebildet, führten Studienaufenthalte Kilar ins Ausland zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und nach Paris zu der Komponistin und Musikpädagogin Nadia Boulanger. Katowice entwickelte sich jedoch zum zentralen Ort seines vielseitigen künstlerischen Schaffens. Hier inspirierten Kilar nicht nur Orte, Menschen und Landschaften, in Katowice arbeitete er auch mit den Musikern des Nationalen Polnischen Radio-Sinfonieorchesters zusammen, die viele seiner Kompositionen in den Filmstudios von Łódź einspielten. Dabei war Kilar nicht nur als Komponist tätig, er instrumentierte meist auch selbst. Mehrere Filmwerke fanden Eingang in Orchesterprogramme, darunter der in Polen populäre Walzer aus Jerzy Hoffmans Melodram „Trędowata“ (1976). Wie kein zweiter polnischer Komponist verkörpert Wojciech Kilar damit einen Künstlertypus, dessen Filmmusiken den vielfältigen Talenten eines wandelbaren Stilisten entspringen. [Stephan Ahrens]

Die Filme:

Bram Stoker’s Dracula von Francis Ford Coppola
Le Roi et l’oiseau / The King and the Mockingbird / Der König und der Vogel von Paul Grimault
Nikt nie woła / Nobody’s Calling von Kazimierz Kutz
Perła w koronie / Pearl In The Crown von Kazimierz Kutz
Rok spokojnego słońca / Ein Jahr der ruhenden Sonne von Krzysztof Zanussi
Sól ziemi czarnej / Salt Of The Black Earth von Kazimierz Kutz
The Portrait of a Lady von Jane Campion
Trędowata / The Leper von Jerzy Hoffman
Ziemia obiecana / The Promised Land von Andrzej Wajda

Der Programmschwerpunkt „Geschichte und Bildung“ wird unterstützt aus Mitteln des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen aus dem Fond für Kulturförderung.

Filmreihe auf der Seite des Deutschen Historischen Museums: dhm.de/zeughauskino/filmreihe/wandelbarer-stilist-hommage-an-wojciech-kilar

 


 

Bram Stoker’s Dracula


USA 1992
R: Francis Ford Coppola
128 min, OF
B: James V. Hart
K: Michael Ballhaus
S: Anne Goursaud
M: Wojciech Kilar
D: Gary Oldman, Winona Ryder, Keanu Reeves, Anthony Hopkins u. a.

Francis Ford Coppola setzt in seiner Adaption von Bram Stokers „Dracula“ weit vor der Handlung des 1897 veröffentlichten Romans ein. Ende des 15. Jahrhunderts zieht der Ritter Dracul gegen das Heer des Osmanischen Reichs in den Krieg. Aufgrund einer Täuschung glaubt seine Frau Elisabeth, Dracul sei gefallen. Sie nimmt sich das Leben. In einem Anfall von Raserei sagt sich Dracul von seinem christlichen Glauben los und schwört Rache. Er wird zum Un-Toten verdammt. Jahrhunderte später erkennt er in der Engländerin Mina das Ebenbild seiner Frau.

In Kilars Komposition zu seinem Hollywood-Debüt findet sich auch eine Hommage an die Traditionen der Filmmusik. Die Liebesgeschichte zwischen Dracula und Mina wird von einem „Orchesterthema begleitet, das die Filmkompositionen von Miklós Rózsa evoziert“, so Jonathan Rosenbaum 1992 im „Chicago Reader“. [Stephan Ahrens]

13.09. / 20:00 / Zeughauskino / Ticket-Link
29.09. / 19:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Bram Stoker’s Dracula © 1992 Columbia Pictures

 


 

Le Roi et l’oiseau / The King and the Mockingbird / Der König und der Vogel


FRA 1981
R/S: Paul Grimault
82 min, dt. Synchronfassung
B: Jacques Prévert & Paul Grimault
K: Gérard Soirant
M: Wojciech Kilar

Hoch über der Stadt Takicardie lebt ein tyrannischer König in seiner bürgerlich eingerichteten Wohnung. Hier lässt er ein neues Porträt von sich anfertigen. Nachts wird der gemalte König ebenso lebendig wie die Figuren anderer Gemälde. Er zwingt eine porträtierte Schäferin, ihn zu heiraten, und nimmt den Platz des wahren Königs ein. Mit Hilfe eines Vogels gelingt es der Schäferin, mit ihrem geliebten Schornsteinfeger zu fliehen. Der König beauftragt die Geheimpolizei, ihm die Hirtin zu bringen, und es beginnt eine Verfolgungsjagd über die Dächer und durch die steilen Häuserschluchten von Takicardie, das sich auf die königliche Hochzeit vorbereitet.

Paul Grimault gründete 1936 das erste Trickfilmstudio in Frankreich und produzierte vor allem Werbefilme. Nach dem Krieg schuf er zusammen mit Jacques Prévert den abendfüllenden Trickfilm „Der König und der Vogel“, der jedoch von der Produktionsfirma umgeschnitten und neu vertont wurde. Erst nach einem jahrzehntelangen Rechtsstreit gelang es Grimault, den Film Ende der 1970er Jahre fertigzustellen. „Jede Einstellung dieses Films quillt förmlich über von den langen Arbeitsstunden, intensiven Diskussionen und einem Perfektionismus, der im digitalen Zeitalter wie ein völliger Anachronismus wirkt.“ (David Jenkins, „Little White Lies“). [Stephan Ahrens]

14.09. / 15:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Le Roi et l’oiseau / Der König und der Vogel © Studio Canal

 


 

Nikt nie woła / Nobody’s Calling


PL 1960
R: Kazimierz Kutz
86 min, OmeU
B: Józef Hen
K: Jerzy Wójcik
S: Irena Choryńska
M: Wojciech Kilar
D: Henryk Boukołowski, Zofia Marcinkowska, Barbara Krafftówna, Halina Mikołajska, Aleksander Fogiel u. a.

Zahllose Menschen ziehen nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung durch das neu gegründete Polen. Vom Osten aus erreichen sie die sogenannten „wiedergewonnenen Gebiete“, wo sie ein neues Leben beginnen möchten. Unter ihnen ist Bożek, der zu Beginn des Films am Bahnhof der schlesischen Stadt Habelschwerdt eintrifft. Er zieht in ein Haus am Fluss, um sich abzuschotten, unsicher, ob ihn seine Vergangenheit als Angehöriger der polnischen Heimatarmee einholen wird.

Gleich mit einer seiner ersten Filmkompositionen ist Kilar an einem der außergewöhnlichsten polnischen Filme der 1960er-Jahre beteiligt. Seine Musik beschränkt sich auf kurze Einsätze, die in die Handlung einbrechen. Sie führt Bożek nicht mit anderen Menschen zusammen, sondern isoliert ihn. Die Filmkritik zeigte sich von Kutz‘ radikalem Anti-Heroismus zunächst irritiert und entdeckte erst spät die Bedeutung seines Films. [Stephan Ahrens]

12.09. / 19:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Nikt nie woła / Nobody’s Calling

 


 

Perła w koronie / Pearl In The Crown


PL 1971
R/B: Kazimierz Kutz
111 min, OmeU
K: Stanisław Loth
S: Irena Choryńska
M: Wojciech Kilar
D: Łucja Kowolik, Olgierd Łukaszewicz, Jan Englert, Jerzy Cnota, Franciszek Pieczka u. a.

Zwei Jahre nach „Sól ziemi czarnej / Das Salz der schwarzen Erde“ drehte Kutz 1972 den zweiten Film seiner „Schlesischen Trilogie“. „Perła w koronie“ erzählt von der Besetzung einer Mine durch polnische Arbeiter im August 1934. Die deutschen Eigentümer beabsichtigen, die Mine zu schließen und zu fluten. Doch die Arbeiter gehen in einen Hungerstreik. Sie verlangen, dass die Mine offen bleibt, andernfalls würden sie die Mine nicht verlassen und in den Fluten sterben.

Im Zentrum der Handlung stehen der Bergarbeiter Jaś und seine Frau Wichta. Kutz‘ Panorama-Aufnahmen vom Kohlerevier begleitet Kilar mit einem Klavier-Solo, auf das ein Orchester düster antwortet. Der „Polnische Streik“, wie die Arbeiter ihren Widerstand nennen, wirkt so von Beginn an verzweifelt, die Männer scheinen isoliert. [Stephan Ahrens]

16.09. / 19:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Perła w koronie / Pearl In The Crown

 


 

Rok spokojnego słońca / Ein Jahr der ruhenden Sonne


PL/D/USA1984
R/B: Krzysztof Zanussi
105 min, deutsche Synchronfassung
K: Sławomir Idziak
S: Marek Denys
M: Wojciech Kilar
D: Maja Komorowska, Ewa Dałkowska, Scott Wilson, Hanna Skarżanka, Vadim Glowna u. a.

In einer kriegszerstörten Stadt in den sog. „wiedergewonnenen Gebieten“ Westpolens treffen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die aus dem Osten geflohene Polin Emilia und der US-amerikanische Soldat Norman aufeinander, der deutsche Kriegsverbrechen aufklären und die Exhumierung eines Massengrabs begleiten soll. Obwohl sich die beiden sprachlich nicht verständigen können, nähern sie sich einander an. Es vereinen sie das Gefühl des Fremdseins und Traumatisierungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Kilar, der für zahlreiche Filme von Krzysztof Zanussi die Musik schrieb, schätzte Zanussis Umgang mit seinen Kompositionen: „Meiner Musik kommt bei Zanussi die Funktion eines intellektuellen Kommentars zu.“ Kilars minimalistische Musik, mit der er an Kutz‘ „Nikt nie woła / Nobody’s Calling“ (1960) anschließt, wirkt in „Rok spokojnego słońca“ gespenstisch. Sie schiebt sich immer wieder zwischen die Protagonist*innen und begleitet die traumatischen Bilder der Vergangenheit. [Stephan Ahrens]

21.09. / 18:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Rok spokojnego słońca / Ein Jahr der ruhenden Sonne © Ziegler Film

 


 

Sól ziemi czarnej / Salt Of The Black Earth


PL 1969
R/B: Kazimierz Kutz
98 min, OmeU
K: Wiesław Zdort
S: Irena Choryńska
M: Wojciech Kilar
D: Olgierd Łukaszewicz, Jan Englert, Jerzy Bińczycki, Jerzy Cnota, Wiesław Dymny u. a.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Zweiten Polnischen Republik ist der Status von Oberschlesien umstritten. Mittels einer im Versailler Vertrag vereinbarten Abstimmung soll die Bevölkerung entscheiden, ob sie zu Polen oder zum Deutschen Reich gehören wird. Aber bereits kurz nach Kriegsende brechen Proteste aus. Zwischen 1919 und 1921 kommt es zu mehreren Ausschreitungen zwischen polnischen Einwohner*innen, die sich für eine Angliederung an Polen einsetzen, und deutschen Polizeieinheiten. In der von Industrie und Bergbau geprägten Region Kattowitz (heute Katowice) sind die Auseinandersetzungen besonders brutal.

Vor diesem Hintergrund erzählt „Sól ziemi czarnej“, der erste Teil von Kazimierz Kutz‘ Trilogie über Schlesien im 20. Jahrhundert, die Geschichte einer Bergarbeiterfamilie, deren Söhne für die Zugehörigkeit zu Polen kämpfen. Die Erzählung ist von Kutz‘ eigener Familiengeschichte geprägt: „Dieser Kampf ähnelte einer ‚Massenschizophrenie‘ und sein populärer Charakter erinnerte an die großen Bauernaufstände der Renaissance.“ (Kazimierz Kutz) [Stephan Ahrens]

13.09. / 18:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Sól ziemi czarnej / Salt Of The Black Earth

 


 

The Portrait of a Lady


USA/UK 1996
R: Jane Campion
144 min, OF
B: Laura Jones
K: Stuart Dryburgh
S: Veronika Jenet
M: Wojciech Kilar
D: Nicole Kidman, John Malkovich, Barbara Hershey, Shelley Duvall, Christian Bale, Viggo Mortensen u. a.

Im Zentrum von Henry James‘ erstmals 1881 veröffentlichtem Roman „The Portrait of a Lady“ steht die Begegnung der „Alten“ mit der „Neuen“ Welt. Die junge Isabel Archer und ihre Tante aus Albany werden von einer Verwandten nach England eingeladen. Heiratsanträge und Annäherungsversuche weist Isabel zurück, doch ihr Wunsch, durch Europa zu reisen, erfüllt sich, als sie ein großes Vermögen erbt. In Florenz trifft Isabel auf den Amerikaner Gilbert Osmond, auf dessen Avancen sie eingeht.

Jane Campions Romanadaption fokussiert die Beziehung zwischen Isabel und Gilbert. Deren erste Begegnung ist mit Kilars „Flowers of Florence“ unterlegt. Campions Art der Figurenzeichnung ist viel expressiver als die von Henry James, was auch Kilars Musik auszeichnet. Dessen Score „verdichtet sich […] zu einer von melancholischen Motiven getragenen Elegie, die die düster-subtile, vielschichtige Seelenlandschaft Isabel Archers musikalisch intensiv widerspiegelt.“ (Margarete Wach, „Film-Dienst“). [Stephan Ahrens]

15.09. / 19:00 / Zeughauskino / Ticket-Link
28.09. / 18:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

The Portrait of a Lady © Park Circus / Universal

 


 

Trędowata / The Leper


PL 1976
R: Jerzy Hoffman
91 min, OmeU
B: Stanisław Dygat
K: Stanisław Loth
S: Halina Nawrocka
M: Wojciech Kilar & Piotr Marczewski
D: Elżbieta Starostecka, Leszek Teleszyński, Jadwiga Barańska, Czesław Wołłejko, Lucyna Brusikiewicz u. a.

„Ich liebe Überfluss und Opulenz“, schwärmt die junge Lucie ihrer Gouvernante und Hauslehrerin Stefania Rudecka vor, als sie gemeinsam durch die Gärten des herrschaftlichen Landguts Słodkowice streifen. Lucies Bekenntnis lässt sich auch auf Jerzy Hoffmans imposante Adaption von Helena Mniszkównas 1909 veröffentlichtem Roman beziehen. „Trędowata“ ist bereits die dritte Verfilmung der tragischen Liebesgeschichte zwischen der Lehrerin Stefania und dem adeligen Erben eines Großgrundbesitzers, die in den Augen der Familie und der aristokratischen Gesellschaft „nicht standesgemäß“ und daher zu verachten sei.

Die Epoche der Vorkriegszeit lässt Kilar mit einem farbenreichen Walzer auferstehen, dessen jauchzende Klänge immer bedrohlicher werden und den Kilar bereits für Janusz Majewskis Horrorfilm „Lokis. Rękopis profesora Wittembacha“ (1970) verwendet hatte. Zu Beginn begleitet der Walzer Stefanias unbändige Lebensfreude, nach und nach wandelt sich jedoch seine Funktion: Er wird zum Ausdruck ihrer Todesangst. [Stephan Ahrens]

20.09. / 18:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Trędowata / The Leper © Marcin Pyda / Filmoteka Narodowa – Instytut Audiowizualny

 


 

Ziemia obiecana / The Promised Land


PL 1975
R/B: Andrzej Wajda
179 min, OmeU
K: Witold Sobociński, Edward Kłosiński & Wacław Dybowski
S: Halina Prugar & Zofia Dwornik
M: Wojciech Kilar
D: Daniel Olbrychski, Wojciech Pszoniak, Andrzej Seweryn u. a.

„Łódź erwachte. Der erste schrille Pfiff einer Fabrik zerriss die Stille des frühen Morgens. An allen Enden der Stadt begannen andere immer greller sich loszureißen und gellten mit ihren heiseren, ungebändigten Stimmen wie ein Chor von ungeheuerlichen Hähnen, aus deren metallenen Kehlen sich der Ruf zur Arbeit losringt.“ Den bildgewaltigen Anfang von Władysław Reymonts Roman „Das gelobte Land“ aus dem Jahr 1896 übersetzt Kilar in einen langsam ansteigenden, mechanisch hämmernden Rhythmus, der immer lauter wird.

Andrzej Wajdas Adaption erzählt von drei Freunden – einem Polen, einem Deutschen und einem Juden –, die im aufstrebenden Łódź eine Baumwollfabrik gründen, um am Boom der Textilmetropole teilzuhaben. Doch im „Manchester des Ostens“ dreht sich alles nur um Geld und Eifersucht. Mit einem prachtvoll instrumentierten Walzer schließt Kilar nicht nur an den populärsten Tanz dieser Epoche an, er zeichnet zugleich ein Bild getriebener Menschen, die für ununterbrochen fließende Kapitalströme alles tun würden. [Stephan Ahrens]

14.09. / 17:00 / Zeughauskino / Ticket-Link

 

Ziemia obiecana / The Promised Land