11.04.2025 Aktuelles

Bericht über die Veranstaltung „Erinnerungskultur und Bildung am Beispiel der Gedenkstätte Mauthausen-Gusen“

Am 10. April 2025 fand im Polnischen Institut Wien eine eindrucksvolle Podiumsdiskussion zur Rolle der Erinnerungskultur in der historisch-politischen Bildung statt. Die Veranstaltung mit dem Titel „Erinnerungskultur und Bildung am Beispiel der Gedenkstätte Mauthausen-Gusen“ vereinte Expertinnen und Experten aus Polen und Österreich, die sich mit zentralen Fragen der Gedenkstättenpädagogik, der Vermittlung von Geschichte und der Bedeutung von Bildungsorten wie KZ-Gedenkstätten auseinandersetzten.

Ein historisch belasteter Ort im Fokus

Die Diskussion nahm ihren Ausgangspunkt in der Geschichte des Konzentrationslagers Gusen, das ab 1939 als Nebenlager von Mauthausen entstand. Mit etwa 72.000 Gefangenen aus nahezu 30 Nationen und einer erschütternden Todesrate von mehr als der Hälfte der Inhaftierten steht Gusen exemplarisch für das unvorstellbare Leid der NS-Zeit. Seit 1997 ist die Republik Österreich für die Gedenkstätte verantwortlich. Heute ist Gusen ein Ort des Gedenkens und der Bildung, an dem die Vergangenheit bewahrt und reflektiert wird, um daraus gesellschaftliche Verantwortung für die Zukunft abzuleiten.

 

Zentrale Fragen der Diskussion

Die Panelist:innen beschäftigten sich mit einer Reihe grundlegender Fragen, die das Spannungsfeld zwischen Erinnerung, Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung beleuchteten:

  • Wie lässt sich Geschichte so vermitteln, dass sie Vertreter verschiedener Generationen und Nationen erreicht?
    Es wurde betont, wie wichtig es ist, narrative und emotionale Zugänge zu finden, die persönliche Verbindung zur Geschichte ermöglichen – sei es durch Familiengeschichten, audiovisuelle Medien oder zeitgemäße pädagogische Konzepte.

  • Wie verändert sich die Haltung der Besucher von Gedenkstätten im Laufe der Jahre?
    Der Wandel sei spürbar: von stiller Betroffenheit hin zu einem aktiven Interesse an gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Jüngere Besucher*innen stellen verstärkt Fragen nach Relevanz und Verantwortung.

  • Inwieweit ist der Zweite Weltkrieg noch ein lebendiges Element in Familiengeschichten und inwieweit bereits ein abstraktes Phänomen für die Jüngeren?
    Hier zeigte sich ein Generationenbruch – während ältere Generationen noch persönliche Erzählungen weitergeben, fehlt Jüngeren oft der emotionale Zugang, was die Rolle der Gedenkstätten umso bedeutender macht.

  • Mit welcher Haltung und welchem Vorwissen kommen die Besucher in die Gedenkstätten?
    Zwischen Unwissen, Vorurteilen und echtem Interesse sei alles vertreten. Bildungsangebote müssten daher niedrigschwellig, aber zugleich tiefgehend sein.

  • Wie sollte ein Besuch in der Gedenkstätte die Einstellung beeinflussen, Wissen bereichern und zur weiteren Auseinandersetzung motivieren?
    Die Panelist:innen betonten, dass Gedenkstättenbesuche zum Nachdenken, zum Dialog und zum Handeln anregen sollten – mit dem Ziel, aus der Geschichte für die Gegenwart zu lernen.

  • Unterscheidet sich das Herangehen an Geschichte in Polen und Österreich?
    Kulturelle Unterschiede und unterschiedliche Narrative prägen die jeweilige Erinnerungskultur. Der Austausch darüber sei wertvoll, um gemeinsame europäische Perspektiven zu entwickeln.

  • Wie bedeutend ist der Generationswechsel und das Abtreten der letzten Zeitzeugen?
    Der Verlust der Zeitzeug*innen stellt eine große Herausforderung dar. Umso wichtiger sei es, ihre Geschichten in vielfältigen Formaten festzuhalten und weiterzugeben.

  • Nutzen Gedenkstätten moderne Technologien zur Vermittlung?
    Die Digitalisierung wurde als große Chance erkannt – sei es durch virtuelle Rundgänge, Apps oder multimediale Archive. Zugleich warnte man vor der Gefahr der Entkontextualisierung.

  • Beeinflussen aktuelle Konflikte wie in der Ukraine oder in Gaza die Wahrnehmung historischer Ereignisse?
    Das aktuelle Weltgeschehen sensibilisiere viele Menschen neu für Fragen von Krieg, Flucht und Menschenrechten. Geschichte werde dadurch greifbarer – aber auch politisch aufgeladener.


Die Diskussion wurde moderiert von Jakub Kukla vom Polnischen Rundfunk. Auf dem Podium vertreten waren:

  • Andrzej Kacorzyk (Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)

  • Bernhard Mühleder (KZ-Gedenkstätte Gusen/Mauthausen)

  • Paulina Pętal (Staatliches Museum Majdanek)

  • Andrea Wahl (Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen – St. Georgen)

  • Joanna Ziemska (Tochter eines Gusen-Überlebenden)

  • Magdalena Żelasko (Regisseurin/LET’S CEE Filmfestival)

Ein Ausblick: Bildung als Auftrag

Die Veranstaltung machte deutlich: Gedenkstätten sind weit mehr als Orte des Gedenkens – sie sind Lernorte, Dialogräume und Erinnerungsräume. Die Diskussion betonte, wie wichtig es ist, Erinnerungskultur aktiv zu gestalten, um zukünftige Generationen für Menschlichkeit, Toleranz und Verantwortung zu sensibilisieren.

Die Veranstaltung war gut besucht und bot Raum für Austausch und persönliche Reflexion – ein gelungener Beitrag zur lebendigen Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Veranstalter: Polnisches Institut Wien
Partner: Botschaft der Republik Polen in Österreich, KZ-Gedenkstätte Mauthausen / Gusen, Staatliche Museen Auschwitz-Birkenau und Majdanek, Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen – St. Georgen

Foto: Polnisches Institut Wien


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