Das Wort „Märchen“ wird als Erzählung mit fantastischem Inhalt definiert – als kurzes Werk, oft in Versen, mit satirischem und didaktischem Charakter oder auch, kurz gefasst, als erfundene Geschichte. Das Adjektiv „erfunden“ sollte man jedoch nicht allzu wörtlich nehmen, schließlich tragen nicht wenige Märchen Botschaften in sich, die tiefer gehen als so manche philosophische Abhandlung. Die Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, diese Botschaften in die Handlung eines Märchens einzubetten, spielen hier eine zentrale Rolle. Nicht nur die Literatur, sondern auch die Kunst beschäftigt sich immer wieder intensiv mit dieser Gattung.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Ausgabe von „Kunst im Kino“ stehen jene erfundenen künstlerischen Geschichten – Märchen, die mit Hilfe von Filmbildern erzählt werden. Wie wird das Medium Film in der Kunst verwendet, um damit solche phantastischen Welten, Märchen, Schwafeleien und Spinnereien zu erzählen? Erfindet die Kunst die Welt der Märchen völlig neu oder erzählt sie diese nur auf andere Art und Weise? Haben Märchen, die filmisch erzählt werden, eine andere Aussage? Mit diesen Fragen wollen wir uns gemeinsam mit dem Publikum im Rahmen von zwei Filmprogrammen beschäftigen, die sieben filmisch-künstlerische Arbeiten zeigen.

Der erste Abend konzentriert sich auf Erzählungen, die Ängste thematisieren, aber auch die Versuche, mit ihnen zurechtzukommen – gelegentlich mit einer ordentlichen Prise Humor. Es geht aber ebenso um Rituale, die aus heutiger Sicht zumindest problematisch erscheinen. Dabei lohnt es sich, einen genaueren Blick auf An-/Gewohnheiten und Routinen zu werfen.

Der zweite Abend widmet sich Werken von Katarzyna Kozyra. Die Künstlerin greift häufig auf Märchen als künstlerische Methode zurück. Allerdings sind ihre Inszenierungen, Verkleidungen und Maskeraden keine oberflächlichen Spielereien, sondern kritische Analysen in knalligen Farben. [Lawinia Rate, Übs. Rainer Mende]

Kuratorin: Lawinia Rate

Ideengeberin der Sektion „Kunst im Kino“ ist Anna Baumgart. Jedes Jahr lädt sie eine*n Kurator*in ein, die jeweilige Ausgabe zu gestalten.

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Programm 1: Märchen – erfundene Geschichten / Traumbilder

Czarna woda / Black Water
R: Ania Witkowska, PL 2019, 7 min, OmeU
Die Menschheit befindet sich in einem erbärmlichen Zustand – und die Natur in einem noch schlechteren. Sensationsgier und Konsum treiben uns nur dem Tod in die Arme. Das Wasser verliert seine heilende Kraft und wird zur vergifteten Quelle, die langsam versiegt.

Ania Witkowska, Czarna Woda

Forms of Survival
R: Diana Lelonek, PL 2020, 8 min, OmeU
Das Video ist von E-Mails inspiriert, in denen der Künstlerin von diversen Kulturinstitutionen Absagen wegen der Pandemie erteilt wurden. Es fragt nach der Zukunft solcher Organisationen angesichts der Krisen von Klima, Ökonomie, Demokratie etc.

Węgiel / Coal
R: Ewelina Węgiel, PL 2023, 12 min, OmeU
Die Kakofonie von Märchen, die aus der Erde hervorkriechen, wird aus der Perspektive eines Braunkohle-Tagebaus erzählt, der nur vom Mond aus zu sehen ist.

Intimacy of Waters
R: Martyna Miller, PL 2020, 14 min, OmeU
Mit Bildern von vielfältigen Gewässern wird eine intime Geschichte über ewige Kämpfe und heilsame Erfahrungen erzählt. Momente, Rhythmen und Orte werden zu Signalen für intensive Erlebnisse, Gefühle und Zustände.

Martyna Miller, Intimacy of waters

Lamentations
R: Alicja Wysocka, PL 2021, 6 min, OmeU
In einem bis heute verbreiteten heidnischen Ritual wird die slawische Göttin Marzanna (Morana) ertränkt. In einer Reflexion über die Christianisierung der Slawen und die Wassersymbolik wird ein Ritual der Wiederbelebung geschaffen.

08.09. / 20:00 / Wolf Kino – Studio / zu Gast: Ania Witkowska & Ewelina Węgiel

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Programm 2: Märchen – erfundene Geschichten / Fokus Katarzyna Kozyra
UPDATE: Katarzyna Kozyra ist leider krank geworden und kann nicht zur Vorführung kommen.

Letnia opowieść / Summertale
R: Katarzyna Kozyra, PL 2008, 20 min, OmeU
Das farbenfrohe moderne Märchen ist ein Statement der Künstlerin zu Rolle und Wert des männlichen Elements in der bzw. ihrer Welt. In Maskeraden setzt sie sich mit Mythen, Tabus und Geschlechterstereotypen auseinander und sucht nach universellen Wahrheiten.

Katarzyna Kozyra, Letnia opowieść, 2008, fot. Elżbieta Białókowska

Sen córki Linneusza / A Dream of Linnaeus’ Daughter
R: Katarzyna Kozyra, PL 2018, 30 min, OmeU
Der Film entstand in Uppsala, in den Gärten des bekannten schwedischen Botanikers Carl von Linné aus dem 18. Jahrhundert. Katarzyna Kozyra schlüpft in die Rolle der Elisabeth Christina von Linné, einer seiner vergessenen Töchter.

Katarzyna Kozyra, Sen córki Linneusza, 2018, fot. Katarzyna Szumska

09.09. / 20:00 / Wolf Kino – Studio

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Das Programm „Kunst im Kino“ wird organisiert mit Förderung des Polski Instytut Sztuki Filmowej (Polnisches Filminstitut / PISF).



Titelfoto: Ewelina Węgiel, Węgiel, 2023 © Ewelina Węgiel