Die Jury

 

© Andreas Pein

Julia Boxler (geb. 1986 in Kasachstan) kam 1996 mit zehn Jahren als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Sie lebt in Berlin und arbeitet in den Bereichen Film, Journalismus und Podcasting. Nach den Dreharbeiten zu ihrem Debütfilm „bye bye baby“ ging sie nach Almaty (Kasachstan), wo sie zwei Jahre lang als Journalistin für das Institut für Auslandsbeziehungen arbeitete. Anschließend war sie als Gräfin-Marion-Dönhoff-Stipendiatin des Auswärtigen Amtes in Moskau und arbeitete bei dem russischen Oppositionssender TV Rain/Dozhd, bevor sie wieder nach Berlin zurückkehrte. Julia Boxler hat mit „X3“ den ersten deutschen Podcast zu Postost-& RD+-Identitäten mitgegründet. Sie ist Kuratorin der Ausstellung „POSTOST: Україна/Ukraine“, konzipiert und moderiert „Postost“-Festival- und Talkformate und ist im Team der Redaktionsleitung von Arte Tracks East. Außerdem ist sie Dozentin der Universität zu Köln.

© Isabell Lott

Der Kulturredakteur Uwe Rada (geb. 1963 in Göppingen) lebt seit 1983 in Berlin und seit 2018 auch im brandenburgischen Schlaubetal. Rada ist Redakteur der taz (seit 1994) mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung und Polen und schrieb zahlreiche Bücher, darunter „Die Oder. Lebenslauf eines Flusses“ und „Die Memel. Kulturgeschichte eines europäischen Stroms“. Zuletzt gab er mit Dagmara Jajesniak-Quast „Die vergessene Grenze“ über die deutsch-polnische Grenze der Zwischenkriegszeit heraus. Gemeinsam mit Mateusz Hartwich veröffentlichte er einen Sammelband zur Beziehungsgeschichte der Städte Berlin und Breslau/Wrocław. 2017 erschien sein Roman „1988“ über eine Liebesgeschichte zwischen Berlin-Kreuzberg und Kraków. Seine neue Heimat thematisierte Rada in den Büchern „Siehdichum. Annäherungen an eine brandenburgische Landschaft“ und „Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder“. Rada war Juror beim Deutsch-Polnischen Journalistenpreis und beim FilmFestival Cottbus.

© Lea Wohl von Haselberg

Die Film- und Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg (geb. 1984) forscht und schreibt zu deutsch-jüdischen Themen und Erinnerungskultur. Nach dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt am Main promovierte sie in Hamburg und Haifa mit einer Arbeit über jüdische Spielfilmfiguren im westdeutschen Film und Fernsehen. Ihre Forschung ist an der Schnittstelle von Medienwissenschaften und jüdischen Studien angesiedelt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Repräsentation jüdischer Themen in bundesrepublikanischen Diskursen, jüdischer Filmgeschichte und (audiovisuellen) Erinnerungskulturen. Sie ist assoziiertes Mitglied des Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, Mitherausgeberin des Magazins „Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart“ und Kuratorin des Jüdischen Filmfestivals Berlin-Brandenburg. 2017–2021 arbeitete Wohl von Haselberg an einem Forschungsprojekt zu Arbeitsbiografien jüdischer Filmschaffender in der BRD an der Filmuniversität Babelsberg. Sie koordiniert mit Johannes Praetorius-Rhein das DFG-Netzwerk „Deutsch-jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik (2019–2023)“ und leitet seit 2020 die vom PostDocNetwork Brandenburg geförderte Nachwuchsforschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“ sowie das DFG-Projekt „Jewish Film Heritage“.

 


 

Der Wettbewerb

 

Die sieben Wettbewerbsbeiträge erkunden allesamt Milieus – und zeichnen Psychogramme jenseits von Stereotypen. So erzählt Damian Kocurs mit Laiendarsteller*innen besetztes Drama CHLEB I SÓL / BROT UND SALZ im 4:3-Format vom Klavierstudenten Tymoteusz, der in seine altes abgehängtes Provinzstädtchen zurückkehrt, wo Alkohol, Aggression und Ressentiments gegen alles Fremde auf der Tagesordnung stehen – und von der Eskalation, die daraus folgen muss. Ebenfalls in einer Stadt ohne Perspektiven angesiedelt ist der Dokumentarfilm LOMBARD / DAS PFANDHAUS von Łukasz Kowalski, der bei DOK Leipzig 2022 den Doc Alliance Award gewann. Die dokumentarische Studie ist ein intimer Blick hinter die Kulissen eines Pfandhauses in Bytom, das nicht nur von den Schicksalen der Käufer*innen und Betreiber*innen, sondern den prekären Lebensentwürfen vieler Menschen in strukturell schwachen Gegenden zu berichten weiß.

DAS PFANDHAUS ist nicht der einzige dokumentarische Beitrag im Wettbewerb. Als zweites Roadmovie im filmPOLSKA-Programm widmet sich BÓG I WOJOWNICY LUNAPARKÓW / GOD & LUNA PARK WARRIORS wieder einer Familienkonstellation, diesesmal aus Vater und Sohn. Der atheistische Schriftsteller Andrzej Rodan und sein Sohn Paweł, ein tief gläubiger Christ mit entsprechenden Karriereabsichten, liegen in ihren Ansichten grundsätzlich über Kreuz und machen sich auf den Weg, den herzkranken Vater zu retten. Geistig-geistlich versteht sich, denn es handelt sich um den verzweifelten Versuch einer Evangelisation.

Mit THE SILENT TWINS von Agnieszka Smoczyńska ist auch ein international von der Kritik gefeierter Beitrag im Programm. Smoczyńskas zwischen Drama und Thriller changierender erster fremdsprachiger Film feierte in Cannes 2022 seine Premiere und basiert auf realen Ereignissen: Das barbadische Zwillingspaar June und Jennifer Gibbons wächst in den 70er-Jahren in der xenophoben walisischen Provinz auf und beschließt irgendwann, mit niemandem mehr zu sprechen. Ergänzend dazu steuert Dorota Lamparska mit PRZEJŚCIE / THE PASSAGE einen dezidierten Arthouse-Film bei, in dem die Themen Vergänglichkeit und Tod anhand einer kaputten Brücke ins Jenseits und dem Schicksal der zwischen Leben und Tod herumirrenden Protagonistin Maria mit ironischem Unterton verhandelt werden.

Zwei Filme beleuchten Machtverhältnisse und Manipulation. In Grzegorz Mołdas Kammerspiel MATECZNIK / THE HATCHER muss sich der junge Strafgefangene Karol mit elektronischer Fußfessel den bisweilen sadistisch anmutenden Resozialisierungsmethoden seiner Betreuerin Marta fügen. Im Mittelpunkt von Tomasz Habowskis Schwarz-Weiß-Film PIOSENKI O MIŁOŚCILIEBESLIEDER steht hingegen die Musik zwischen Karriere und zweckbefreiter Leidenschaft: Hier prallen die Welten des hochambitionierten, wohlsituiert aufgewachsenen Komponisten Robert und der als Kellnerin arbeitenden, „heimlichen“ Sängerin Alicja unerbittlich aufeinander, mit schwer wiegenden Konsequenzen. Der Film ist prominent besetzt: Die Rolle der Alicja spielt Justyna Święs, Sängerin des erfolgreichen Pop-Duos The Dumplings.

 


 

Bóg i wojownicy lunaparków / God & Lunapark Warriors

PL 2022
R/B: Bartłomiej Żmuda
77 min, OmeU
K: Michał Opala
S: Rafał Stós & Agnieszka Kowalczyk
M: Mikołaj Majkusiak

Es knirscht gewaltig zwischen dem Schriftsteller und Berufs-Provokateur Andrzej Rodan und seinem Sohn Paweł. Kein Wunder, schließlich verdient der überzeugte Atheist Andrzej seinen Lebensunterhalt mit Büchern, in denen er Kirche und Christentum angreift, während sein Sohn tief gläubig ist und seine berufliche Zukunft in der katholischen Kirche sieht. Dabei war es doch früher so idyllisch: Gemeinsam machten sie eine Tour durch die Vergnügungsparks Europas und kein Blatt Papier passte zwischen Vater und Sohn, wie eingeflochtene Videoband-Schnipsel bezeugen.

Einen letzten Versuch will Paweł noch wagen, um das zerrüttete Verhältnis wieder zu kitten. Dreißig Jahre später wollen sie sich noch einmal auf den Weg machen, zu zweit mit dem Auto quer durch Polen, und Orte besuchen, die für Paweł eine besondere spirituelle Bedeutung haben. Vielleicht gelingt es ja jemandem, im Kopf des Kirchenkritikers ein Körnchen Zweifel an seiner fundamentalen Ablehnung alles Spirituellen zu säen?

Schmerzhaft nah an den Helden dieses tragikomischen Dokumentar-Roadmovies schauen wir tief in die verwundeten Seelen zweier Menschen, die in ihren Ansichten gefestigt und doch unendlich unglücklich sind. Der Film erzählt von zerrissenen Familienbanden, der isolierenden Wirkung von Fanatismus und der verzweifelten Suche nach einer Basis für einen Dialog auf Augenhöhe. [Rainer Mende]

Bartłomiej Żmuda (geb. 1981 in Nysa) studierte Regie in Łódź. Nach Kurzfilmen, die international Beachtung fanden, arbeitet er momentan an seinem Langspielfilm-Debüt mit dem Arbeitstitel „Więcej“ (Mehr).

10.09. / 20:00 / Sputnik / zu Gast: Bartłomiej Żmuda
11.09. / 20:00 / fsk Kino / zu Gast: Bartłomiej Żmuda
13.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / zu Gast: Bartłomiej Żmuda

© Bóg i wojownicy lunaparków

 


 

Chleb i sól / Brot und Salz

PL 2022
R/B: Damian Kocur
99 min, OmdU
K: Tomasz Woźniczka
S: Alan Zejer
D: Tymoteusz Bies, Jacek Bies u. a.

Der Student Tymoteusz hat mit seinem Klavierspiel schon Preise gewonnen und es ins Fernsehen geschafft. Über den Sommer kehrt er in seine trostlose Heimatstadt zurück, wo seit seinem Weggang die Welt stehen geblieben zu sein scheint. Die alten Kumpels aus dem Block hängen immer noch in der Gegend herum, kiffen, trinken Dosenbier, labern viel, träumen von Abenteuern in der großen weiten Welt und kommen aus ihrem Viereck aus Badesee, Skatepark, Spielplatz und Dönerimbiss doch nicht heraus.

Auch Tymoteusz‘ Bruder Jacek gehört zur Clique – ebenfalls ein begabter Pianist, der aber seit einer missglückten Bewerbung das Klavier verstimmt einstauben lässt. Statt sich Hoffnungen und Träumen hinzugeben, versinkt er resigniert im provinziellen Sumpf aus Langeweile, Perspektivlosigkeit, Homophobie und plumpem Rassismus. Denn die Wut über das so früh gescheiterte Leben der Jugendlichen muss sich irgendwo entladen – warum nicht bei diesen fremden Typen, die so verdächtig verschlossenen einen Döner nach dem anderen zubereiten?

Wie eine Granate schlug der formal eigenständige, lose an zeithistorische Ereignisse anknüpfende Debüt-Langfilm in der polnischen Szene ein. Mit Fingerspitzengefühl, Präzision und stilistischem Selbstbewusstsein, die für einen Newcomer ungewöhnlich ausgereift sind, erzählt er scheinbar beiläufig eine semidokumentarische Geschichte in der Ästhetik eines frühen Andreas Dresden, die – ganz ohne Musik und virtuos im beengenden Seitenverhältnis 4:3 geschnitten – durch schmerzhafte Authentizität besticht. Denn die Laien-Darsteller*innen spielen sich selbst und ihre eigenen Geschichten. [Rainer Mende]

Damian Kocur (geb. 1983 in Katowice) studierte an der Schlesischen Universität Katowice. Als Regisseur veröffentlichte er acht teilweise preisgekrönte kurze Spiel- und Dokumentarfilme, bevor er mit „Chleb i sól“ einen Jurypreis beim Filmfestival von Venedig und zahlreiche weitere Preise gewann.

11.09. / 20:00 / Sputnik
12.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / in Kooperation mit dem FilmFestival Cottbus / zu Gast: Bernd Buder
13.09. / 20:00 / fsk Kino

© Chleb i sól

 


 

Lombard / Das Pfandhaus

PL 2022
R/B: Łukasz Kowalski
81 min, OmdU
K: Stanisław Cuske
S: Adriana Fernández Castellanos, Filip Kowalski, Jakub Darewski & Kosma Kowalczyk
M: Krzysztof Aleksander Janczak

Das Zweckgebäude, das etwas abseits in der polnischen Industriestadt Bytom steht, könnte man leicht übersehen. Beide hatten schon bessere Zeiten. Doch aus diesem eckigen Kasten mit ergrautem Putz scheint ein Licht, denn hinter den Mauern befindet sich nicht nur ein Gebrauchtwarenladen, sondern eine Art soziokulturelles Zentrum.

Die Betreiber bekommen deutlich zu spüren, dass um sie herum vieles den Bach runtergeht. Obwohl ihre Waren nicht teuer sind, drehen viele Kund*innen vor dem Kauf jeden Złoty um, wollen lieber etwas verkaufen oder kommen eigentlich nur, um einen Schwatz zu halten und sich etwas aufzuwärmen. Selbst für die Beschäftigten ist die Arbeit im A & V mehr als nur ein Job. Aber die schillernden Betreiber Jola und Wiesiek sind nicht nur Seelsorger, sondern auch Geschäftsleute und müssen dafür sorgen, dass ihr Laden rentabel bleibt. Doch wie soll das funktionieren, wenn die Pläne groß, die Portemonnaies aber leer sind?

Kowalski ist mit seinem Debüt eine feinfühlige Sozialstudie gelungen, die abwechselnd zu Tränen des Mitleids und der Freude rührt und dabei ihre schillernden Hauptfiguren zu keiner Sekunde der Lächerlichkeit preisgibt. [Rainer Mende]

Łukasz Kowalski debütierte mit „Lombard“ als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Der Film gewann zahlreiche Preise auf Festivals, bevor er regulär in die polnischen Kinos kam.

07.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / zu Gast: Łukasz Kowalski
08.09. / 20:00 / Sputnik / zu Gast: Łukasz Kowalski
09.09. / 20:00 / fsk Kino / zu Gast: Łukasz Kowalski

© Lombard

 


 

Matecznik / The Hatcher

PL 2022
R: Grzegorz Mołda
81 min, OmeU
B: Grzegorz Mołda & Monika Powalisz
K: Constanze Schmitt
S: Piasek & Wójcik
D: Agnieszka Kryst, Michał Zieliński u.a.

Etwas verloren wirkt Karol so allein in der ziemlich leeren Wohnung. Aber er ist auch nicht freiwillig hier – er trägt eine elektronische Fußfessel und absolviert hier eine Art Training, um zu beweisen, dass er in der Lage ist, selbstständig und ohne Gesetzesübertretungen seinen Alltag zu bewältigen. Damit ihm das gelingt, steht ihm Marta als Betreuerin zur Seite. Sie kontrolliert die Abläufe, gibt Ratschläge und ordnet neue Übungen an. Beispielsweise soll Karol mit einer Babypuppe beweisen, dass er sich zuverlässig um ein Kind kümmern kann.

Aber im Gegensatz zu der Puppe ist Marta ein Mensch mit Gefühlen, der nicht immer berechenbar ist. Zwischen Kontrolleurin und Kontrolliertem entspinnt sich ein feines Netz aus Zwang, Abhängigkeit, Manipulation, Widerstand, Zu- und Abneigung. Damit spielt das formal enorm reduzierte und originell fotografierte, durch das herausragende Schauspieler*innen-Duo getragene Kammerspiel in bedächtigem Tempo im Kleinen das komplexe Verhältnis von Macht und Missbrauch durch. [Rainer Mende]

Grzegorz Mołda (geb. 1993 in Włoszczowa) studierte Regie an der Filmschule Gdynia. Nach seinem Abschlussfilm „Koniec widzenia / Time To Go“ (2017) und einigen Filmen der TV-Serie „Na sygnale“ war er 2022 beim Filmfestival in Gdynia nicht nur mit „Matecznik“ im Wettbewerb für Low-Budget-Filme, sondern auch mit dem Drama „Zadra“ im Spielfilm-Hauptwettbewerb vertreten.

10.09. / 20:00 / fsk Kino / zu Gast: Grzegorz Mołda
11.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / zu Gast: Grzegorz Mołda
12.09. / 20:00 / Sputnik / zu Gast: Grzegorz Mołda

© Galapagos Films

 


 

Piosenki o miłości / Liebeslieder

PL 2021
R/B: Tomasz Habowski
90 min, OmdU
K: Weronika Bilska
S: Patrycja Piróg
M: Kamil Kryszak
D: Tomasz Włosok, Justyna Święs, Andrzej Grabowski, Patrycja Volny u. a.

Der junge Komponist Robert leidet etwas unter seinem dominanten Vater, der als Theater-Star erwartet, dass auch sein Sohn irgendwann mit seiner Kunst groß rauskommt. Aber im Grunde führt Robert ein behütetes Leben ohne den Druck, etwas veröffentlichen zu müssen, damit die Miete bezahlt werden kann. Ganz anders geht es Alicja, die als Kellnerin schuften muss, um über die Runden zu kommen. Dabei kann sie – das hört Robert sofort – fantastisch singen, und zwar ihre eigenen Lieder.

Alicja lässt sich nach einigem Zögern davon überzeugen, Probe-Aufnahmen zu machen und ihre Kompositionen arrangieren zu lassen. Aber auf keinen Fall will sie sich von Robert oder irgendeinem Produzenten zu einem Pop-Sternchen zurechtstutzen lassen – sie weigert sich stur, ihre Lieder zu veröffentlichen oder live zu spielen. Robert findet heimlich eine Plattenfirma, die an dem Material interessiert ist und es groß herausbringen will – aber ohne Alicja.

In reduzierten Schwarz-Weiß-Bildern mit bunten Einsprengseln aus dem Smartphone-Display, perfekt in Szene gesetzt von Kamerafrau Weronika Bilska, entwickelt sich ein Kammerspiel um Ambitionen, Ängste, Loyalität, Prinzipientreue und die Kraft der Musik. Getragen wird es vor allem von der Darstellerin der Alicja – Justyna Święs ist nicht nur Schauspielerin, sondern vor allem Sängerin des erfolgreichen Pop-Duos The Dumplings und als zurückhaltender musikalischer Rohdiamant eine Traumbesetzung. [Rainer Mende]

Tomasz Habowski (geb. 1988) ist seit 2019 Drehbuchautor für die Daily Soap „Na Wspólnej“ – dem polnischen Pendant von „Unter uns“ – und war an der zweiten Staffel der Netflix-Serie „Sexify“ beteiligt. „Piosenki o miłości“ ist sein Regie-Debüt.

07.09. / 20:00 / Sputnik / zu Gast: Tomasz Habowski
08.09. / 20:00 / fsk Kino / zu Gast: Tomasz Habowski
09.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / zu Gast: Tomasz Habowski

© Outsider Pictures II LLC

 


 

Przejście / The Passage

PL 2021
R/B: Dorota Lamparska
102 min, OmeU
K: Jolanta Dylewska
S: Maciej Pawliński & Piotr Krygiel
M: Ireneusz Wojtczak
D: Wiktoria Gorodeckaja, Agnieszka Mandat, Jacek Braciak, Jowita Budnik, Monika Kwiatkowska, Jan Peszek u. a.

Es dauert eine Weile, bis Maria verstanden hat, was los ist. Warum muss auch unbedingt in dem Moment, in dem sie stirbt, die Brücke ins Jenseits bei einem Gewitter kaputtgehen und jetzt repariert werden?

Nun irrt sie erst einmal untot durch ihre einstige Welt und betrachtet eher trotzig-irritiert als neugierig, welche Lücken sie hinterlassen hat – und ob überhaupt. Denn Maria scheint – wie auch jetzt – eine eher kühle Person gewesen zu sein, die wenigen Menschen richtig nahestand. Jetzt muss sie feststellen, dass das Leben einfach ohne sie weitergeht, ohne große Aufregung.

Die Hauptdarstellerin Wiktoria Gorodeckaja erträgt mit bewundernswerter Souveränität und dezentem Underacting den permanenten Kamerablick (meisterhaft inszeniert von Jolanta Dylewska) auf ihr Gesicht, während um sie herum in überraschenden, gelegentlich ins Absurde kippenden Szenen eine Reihe schräger Figuren die Verstorbene zu dem Punkt geleitet, an dem sie sich ihrer Vergänglichkeit fügt. [Rainer Mende]

Dorota Lamparska studierte an der Wajda Film School in Warschau, der Schlesischen Universität Katowice der Filmhochschule Łódź und der Universität Gdańsk. Nach drei Kurzfilmen und mehreren Folgen der TV-Serie „Złotopolscy“ erschien ihr erster Langspielfilm „Przejście“.

10.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino
11.09. / 21:00 / K 18 / zu Gast: Dorota Lamparska
12.09. / 20:00 / fsk Kino / zu Gast: Dorota Lamparska

© Przejście

 


 

The Silent Twins

PL/USA/GB 2022
R: Agnieszka Smoczyńska
113 min, OmdU
B: Andrea Seigel
K: Jakub Kijowski
S: Agnieszka Glińska
M: Marcin Macuk & Zuzanna Wrońska
D: Letitia Wright, Tamara Lawrance, Leah Mondesir-Simmonds, Eva-Arianna Baxter, Nadine Marshall, Treva Etienne u. a.

Die unzertrennlichen Zwillinge June und Jennifer Gibbons leben in den Siebzigerjahren mit ihren Eltern und Geschwistern in der walisischen Provinz. Die Familie kommt aus Barbados und die dunkelhäutigen Schülerinnen erleben den üblichen Alltagsrassismus, wachsen aber im Grunde behütet auf. Trotzdem passiert eines Tages das Unvorstellbare: Sie verstummen. Lehrer*innen, Ärzt*innen und Psycholog*innen mühen sich an ihnen ab, aber kein Wort kommt mehr über ihre Lippen. Einzelgespräche, Schulverweis, Hausunterricht – keine Maßnahme vermag es, sie wieder zum Sprechen zu bringen.

Doch hinter der Mauer des Schweigens verbirgt sich eine überbordende Fantasie. In den schützenden vier Wänden ihres kunterbunten Kinderzimmers entwerfen die Schwestern ihre eigene Welt aus Puppentheater, Radiosendungen, Liedern und Geschichten. Dort ist Sprache auch kein Hindernis, sie plaudern ununterbrochen miteinander – mehr noch, sie entwickeln literarische Ambitionen und beginnen, ihre Geschichten niederzuschreiben. Aus den Kindern werden Teenies, die sich von Abenteuern für ihre Texte inspirieren lassen – nicht immer in den Grenzen des Legalen und nach wie vor schweigend. Aus der Sicht der Gesellschaft sind solche Regelbrecherinnen nicht länger tragbar.

Agnieszka Smoczyńska versucht sich nicht an einer realistischen, historisch exakten Rekonstruktion der authentischen Geschichte, sondern lädt ein zu einer Achterbahnfahrt durch die Fantasie der Mädchen, die aus dem gesellschaftlichen Normkorsett ausbrechen. Mit übersprudelnden visuellen Einfällen, im Sound der Epoche und versetzt mit virtuosen Animationen von Barbara Rupik lernen wir das Paar vielleicht nicht zu verstehen, aber zumindest teilweise zu erfühlen. [Rainer Mende]

Agnieszka Smoczyńska (geb. 1978 in Wrocław) studierte Regie in Katowice und Warschau sowie Kulturwissenschaften in Wrocław. Neben Kurzfilmen, Arbeiten fürs Fernsehen und ihrem umjubelten Debüt „Córki dancingu“ (2015) drehte sie das Amnesie-Drama „Fuga / Fugue“ (2018). „The Silent Twins“ (2022) ist ihre erste fremdsprachige Produktion.

07.09. / 20:00 / fsk Kino
08.09. / 20:30 / Bundesplatz-Kino / zu Gast: Agnieszka Smoczyńska
09.09. / 18:00 / Sputnik / zu Gast: Agnieszka Smoczyńska

© Lukasz Bąk / Focus Features / Park Circus Group

 
 

 



Titelfoto: "Przejście / The Pasasage" von Dorota Lamparska