14.09–07.10.2024 / Zeughauskino
Programmschwerpunkt „Geschichte und Bildung“
Jedes Jahr steht am 1. August um 17 Uhr die polnische Hauptstadt still. Man gedenkt des Warschauer Aufstands, der um diese Uhrzeit im Jahr 1944 begann und in dem die Polnische Heimatarmee bis zum 2. Oktober Widerstand gegen die deutsche Übermacht leistete. Rund 15.000 polnische Soldaten und 150.000 bis 225.000 polnische Zivilisten kamen ums Leben. Große Teile Warschaus wurden zerstört und unbewohnbar, weil Heinrich Himmler nach der Niederschlagung des Aufstands den Befehl gab, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen.
Der Warschauer Aufstand – außerhalb Polens gelegentlich mit dem Aufstand im Warschauer Getto von 1943 verwechselt – ist ein zentraler polnischer Erinnerungsort. Er hat Debatten angestoßen über Sinn und Unsinn von Rebellionen, über Heldenverehrung und die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Erinnerungskultur in der Volksrepublik Polen. Auch über die Rolle der Sowjetunion und Russlands im Krieg wurde in diesem Zusammenhang debattiert. Denn die Rote Armee wartete mit ihrem weiteren Vormarsch auf Warschau, bis die Deutschen den Aufstand niedergeschlagen hatten.
Seit 1989 wird der Warschauer Aufstand offener und kontroverser diskutiert, besonders seit der Gründung des Museums des Warschauer Aufstands im Jahr 2004. Dieses Museum dokumentiert und erforscht die Geschichte des Aufstands und richtet sich explizit auch an ein jugendliches Publikum.
Im Kino des kommunistischen Polens spielte der Aufstand auch aufgrund der außenpolitischen Beziehungen zur Sowjetunion nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch entstand ab Mitte der 1950er-Jahre eine Reihe herausragender Filme zum Thema, nachdem Leonard Buczkowski mit „Zakazane piosenki / Verbotene Lieder“ kurz nach Kriegsende einen ersten Film mit Aufstands-Bezug realisiert hatte. Die Auswahl der Retrospektive konzentriert sich auf diese frühe filmische Beschäftigung mit dem Warschauer Aufstand und ergänzt sie um zwei jüngere Beispiele aus den letzten beiden Jahrzehnten. [Rainer Mende]
Kanal / Der Kanal
PL 1956
R: Andrzej Wajda
91 min, OmdU
B: Jerzy Stefan Stawiński
K: Jerzy Lipman
S: Halina Nawrocka
M: Jan Krenz
D: Teresa Iżewska, Tadeusz Janczar, Wieńczysław Gliński, Tadeusz Gwiazdowski, Stanisław Mikulski u. a.
Ende August 1944 steht der Warschauer Aufstand kurz vor seiner Niederschlagung. Eine Gruppe von Aufständischen wird von deutschen Soldaten eingekesselt und flüchtet ins unterirdische Kanalsystem, um sich in Sicherheit zu bringen. Gefahren und Hindernisse erschweren das Fortkommen, weshalb die Gruppe auseinanderfällt.
Andrzej Wajda schuf in „Kanał“ Bilder, die fortan die Darstellung der Warschauer Aufstands prägten. Zugleich irritierte sein Film elf Jahre nach Kriegsende die einheimische Kritik, denn statt eines Heldenepos hatte er eine Darstellung von Leid und Niederlage in schmerzhaftem Realismus geschaffen. „Kanał“, ausgezeichnet mit dem Spezialpreis der Jury in Cannes, zeigt keine fehlerlosen Heldinnen und Helden, sondern widersprüchliche Menschen mit Stärken und Schwächen. Die Schlussszene, in der Hoffnung und Verzweiflung so eindrücklich beieinander liegen, ist in die polnische Filmgeschichte eingegangen. [Rainer Mende]
16.09. / 19:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
27.09. / 20:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
Der Kanal ©WFDiF
Eroica. Symfonia bohaterska w dwóch częściach / Eroica – Polen 1944
PL 1957
R: Andrzej Munk
78 min, OmdU
B: Jerzy Stefan Stawiński
K: Jerzy Wójcik
S: Jadwiga Zajiček
M: Jan Krenz
D: Edward Dziewoński, Kazimierz Rudzki, Henryk Bąk, Mariusz Dmochowski, Tadeusz Janczar, Teresa Szmigielówna, Roman Polański u. a.
Ein Schürzenjäger riskiert Kopf und Kragen, schlägt sich als Meldegänger zu den Aufständischen in Warschau durch und organisiert deren Unterstützung durch ungarische Truppen. Das Scheitern des Aufstands kann er nicht abwenden. Lohnt es sich also, weiterzukämpfen?
So beginnt der erste Teil des ironisch betitelten Films „Eroica“, der auf Kurzgeschichten von Jerzy Stefan Stawiński basiert. Anders als der Untertitel „Heldensymphonie in zwei Teilen“ nahelegt, handelt es sich allerdings um eine Heldengroteske.
Der zweite Teil erzählt von ranghohen polnischen Militärs, die nach dem Aufstand gemäß der Genfer Konvention in einem deutschen Offizierslager interniert sind. Die jahrelange Haft zermürbt sie. Sie klammern sich an ihren Ehrenkodex, resignieren oder verlieren langsam den Verstand. Einzig dem sagenumwobenen Zawistowski soll die Flucht gelungen sein – oder ist das nur ein Gerücht? [Rainer Mende]
17.09. / 19:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
28.09. / 20:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
Eroica – Polen 1944©WFDiF
Kamienne niebo / The Stone Sky / Der steinerne Himmel
PL 1959
R: Ewa Petelska & Czesław Petelski
81 min, OmdU
B: Jerzy Krzysztoń, Ewa Petelska & Czesław Petelski
K: Kurt Weber & Władysław Forbert
S: Felicja Rogowska
M: Tadeusz Baird
D: Tadeusz Łomnicki, Zofia Słaboszowska, Jadwiga Chojnacka, Henryk Borowski, Barbara Horawianka u. a.
Während der Bombardierung Warschaus werden im Keller eines großen Mietshauses sechs Menschen verschüttet: der Hausmeister, ein Taschendieb, ein kranker Professor, eine Mutter mit ihrer Tochter und ein junges Mädchen. Anfangs gibt es ausreichend Platz, Nahrung, Petroleum und die Zuversicht, bald ausgegraben und gerettet zu werden. Aber die Zeit schreitet voran, die Luft im Keller wird stickig, das Wasser knapp.
Nach einem Roman von Jerzy Krzysztoń inszeniert das Regie-Ehepaar Ewa und Czesław Petelski ein packendes psychologisches Kammerspiel, dessen Figuren in enge Räume gezwängt und von verstörenden Geräuschen umgeben sind. Einen wesentlichen Beitrag zur eindringlichen Stimmung liefert Tadeusz Bairds Filmmusik. [Rainer Mende]
23.09. / 19:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
29.09. / 18:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
Der steinerne Himmel ©WFDiF
Powrót / The Return / Die Rückkehr
PL 1960
R: Jerzy Passendorfer
92 min, OmdU
B: Roman Bratny
K: Kazimierz Konrad
S: Czesław Raniszewski
M: Andrzej Kurylewicz
D: Andrzej Łapicki, Alina Janowska, Maria Ciesielska, Kalina Jędrusik u. a.
15 Jahre nach Kriegsende kehrt „Siwy“, ein ehemaliger Untergrundkämpfer, aus dem Ausland nach Warschau zurück und trommelt seine früheren Freunde, Mitstreiterinnen und Kommandanten erneut zusammen.
Doch niemand hat Lust, über die alten Zeiten zu reden. Die zerstörte Stadt wird neu aufgebaut und für ihre Bewohner*innen sind die Sorgen und Nöte des Alltags wichtiger als die Geschichten von gestern. Für die Aufständischen ist nur noch im Museum Platz. So denkt auch die geheimnisvolle Ina, die jetzt als Ärztin arbeitet und um jeden Preis einer Begegnung mit dem Heimkehrer aus dem Weg gehen will.
Jerzy Passendorfers „Powrót“ ist ein bitterer Kommentar zur Erinnerungskultur und führt in einer Mischung aus Krimi, Liebesfilm und Roadmovie vor Augen, wie schnell der Warschauer Aufstand aus dem kollektiven Bewusstsein verschwindet. [Rainer Mende]
14.09. / 19:00 / Zeughauskino / Eröffnung der Reihe [ONLINE-TICKET]
Die Rückkehr ©WFDiF
Maciej Gugała
Einführung zum Film „Powrót / Die Rückkehr“
In diesem Jahr begehen wir den 80. Jahrestag des Warschauer Aufstands. Am 1. August 1944 begann die polnische Untergrundarmee (Armia Krajowa) den Kampf gegen die deutschen Besatzer, um Warschau zu befreien. Gleichzeitig hoffte das antikommunistische Oberkommando der Armia Krajowa, Warschau zu übernehmen, bevor die Rote Armee, die die Deutschen aus dem Osten Polens verdrängte, in die Stadt einmarschieren würde. Die Waage kippte schnell zu Gunsten der Deutschen und der Aufstand brach nach zwei Monaten Kampfhandlungen zusammen. Durch die Kämpfe starben etwa 16.000 polnische Kämpfer*innen, etwa 10.000 deutsche Soldaten und bis zu 200.000 Zivilist*innen aus Warschau. Die Deutschen machten die Stadt auf der linken Weichselseite dem Erdboden gleich. Auf der rechten Seite standen bereits sowjetische Truppen, die jedoch statt den Aufständischen zu helfen, dem Kampf in der brennenden Stadt und der Niederlage der Armia Krajowa nur zusahen.
„Powrót“ (Die Rückkehr) von 1960 unter der Regie von Jerzy Passendorfer zeigt nicht die Kämpfe des Aufstands. Er zeigt die langfristigen Folgen aus der Perspektive von fünfzehn Jahren nach dem Aufstand. Der Hauptcharakter Siwy (Der Graue) besucht Warschau nach vielen Jahren im Ausland. Die Stadt erinnert nicht mehr an die, die er zuletzt gesehen hat. Sie wird im modernen Stil wieder aufgebaut und Ruinen sind nur noch vereinzelt zu sehen. Siwy trifft ehemalige Waffenbrüder aus der Zeit des Aufstands, sucht hartnäckig nach einer für ihn wichtigen Frau und befragt Passanten nach einer Straße, die es auf dem Stadtplan nicht mehr gibt. Warum tut er all das? Geht es ihm nur um eine sentimentale Reise in die Vergangenheit? Oder verfolgt er ein viel tiefer verborgenes Ziel?
„Powrót“ stellt Fragen nach der Erinnerung an das Trauma – ihrer Präsenz sowohl im Leben von Individuen als auch in der gesamten Gesellschaft. Er fragt danach, welchem Zweck diese Erinnerung dienen kann und wie unterschiedlich das Leben nach einer Tragödie verlaufen kann – manchmal als Folge einer Entscheidung, manchmal aufgrund von deren Fehlen. Der Warschauer Aufstand ist eine der größten Katastrophen in der modernen polnischen Geschichte, die je nach politischen Umständen individuell und kollektiv unterschiedlich aufgearbeitet wurde. Schon früh in der polnischen Filmkunst tauchte eine kritische, antiheroische Sicht auf dieses Ereignis auf – Beispiele dafür sind „Powrót“, aber auch, und vielleicht vor allem, „Der Kanal“ (1956) und „Asche und Diamant“ (1958) von Andrzej Wajda oder „Eroica“ von Andrzej Munk (1957). Diese kritischen Filme stellten den Sinn des Aufstands in Frage und verwiesen auf die immense Zahl an Toten, die Zerstörung und gebrochene Schicksale, mit denen der Aufstand endete.
Im Nachkriegs-Polen fügten sich solche Filme in die von den kommunistischen Behörden überwachte und geformte Kultur ein. Der Warschauer Aufstand sollte nicht der Gründungsmythos des neuen Staates sein. Dieser Mythos sollte der Kampf der Armia Ludowa (Volksarmee) sein, die unter den Fittichen der „brüderlichen“ Roten Armee entstanden war und mit ihr gemeinsam Polen von der deutschen Besatzung befreite. Doch der Einfluss des Warschauer Aufstands auf das kollektive polnische Bewusstsein im war zu groß, um ignoriert zu werden. Dies schuf eine kulturelle Landschaft mit moralischen Ambivalenzen. Viele Filmemacher*innen, Schriftsteller*innen und Schauspieler*innen, die damals ihre Karrieren aufbauten und aus Überzeugung oder Pragmatismus von staatlicher Unterstützung profitierten, hatten ebenfalls im Aufstand gekämpft. Unter ihnen waren Roman Bratny, der Drehbuchautor von „Powrót“, und die Hauptdarsteller dieses Films – Andrzej Łapicki und Alina Janowska.
Sie gehörten zur Generation, die Bratny in seinem Roman „Kolumbowie. Rocznik 20“ (Die Kolumbusse. Jahrgang 1920) von 1957 beschrieben hat. In diesem leider nicht ins Deutsche übersetzten Buch über eine Gruppe von jungen Menschen, die im Aufstand kämpften, zeichnete er ein ganzes Bild der Generation junger Pol*innen, die um 1920 geboren und in dem zwischen den Weltkriegen unabhängigen Staat aufgewachsen waren. Bratny nannte diese Generation im Plural „Kolumbusse“, weil sie, wie Christoph Kolumbus, Ende der 1930er-Jahre in unbekannte Gewässer aufbrachen – in ein neues, erwachsenes Leben. Doch der Krieg stand ihnen im Weg, raubte ihnen Idealismus, Chancen und Pläne, vielen letztendlich auch das Leben. Bratny schrieb das Drehbuch zu „Powrót“ als ein Postskriptum zu seinem Roman. In seiner Interpretation haben die Kolumbusse, jetzt vierzigjährig, viele Kompromisse im Leben gemacht. „Powrót“ zeigt den Weg, den sie von der Traumaerfahrung zur Lebensstabilität gegangen sind, die sich jedoch schnell als illusorisch herausstellt, wenn schmerzhafte Erinnerungen erneut ans Licht kommen.
Berlin, 14.09.2024
Pianista / The Pianist / Der Pianist
PL/GB/D/FRA 2002
R: Roman Polański
142 min, OmdU
B: Ronald Harwood
K: Paweł Edelman
S: Herve De Luze
M: Wojciech Kilar
D: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Michał Żebrowski, Zbigniew Zamachowski, Maja Ostaszewska u. a.
Als im September 1939 die deutschen Bombenangriffe auf Warschau beginnen, spielt der jüdische Pianist Władysław Szpilman gerade ein Stück von Chopin für das polnische Radio ein. Er muss mit seiner Familie ins Getto, leidet Hunger, entgeht aber der Deportation. Während des Aufstands im Getto gelingt ihm die Flucht und er wird von Angehörigen des polnischen Widerstands versteckt. Nach dem Warschauer Aufstand irrt er verzweifelt durch die Trümmerwüste, als er dem kunstsinnigen deutschen Offizier Wilm Hosenfeld begegnet. Dieser schätzt Szpilmans Klavierspiel und beschließt, ihm zu helfen.
Im Werk von Roman Polański nimmt die Verfilmung von Szpilmans 1946 erschienener Autobiografie „Das wunderbare Überleben“ einen ganz besonderen Platz ein, weil er selbst als polnischer Jude die Shoah überlebt hatte. [Rainer Mende]
01.10. / 19:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
07.10. / 19:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
Der Pianist ©Studio Canal
Powstanie Warszawskie / Warsaw Uprising / Warschauer Aufstand
PL 2014
R/B: Jan Komasa
83 min, OmdU
B: Joanna Pawluśkiewicz, Jan Ołdakowski & Piotr C. Śliwowski
S: Joanna Brühl
M: Bartosz Chajdecki
D: Michał Żurawski, Maciej Nawrocki, Mirosław Zbrojewicz, Agnieszka Kunikowska u. a. (Synchronisation)
Die Brüder Karol und Witek streifen im August 1944 als Kameraleute durch die von Bomben zerstörten Straßenschluchten Warschaus. Wir hören nur ihre Stimmen, sehen sie aber nicht. Witek will eigentlich zur Waffe greifen und mitkämpfen. Karol hingegen ist überzeugt, dass ihre Filmaufnahmen ebenso wichtig sind und wenn schon nicht zum Sieg, so doch zur Bewahrung der Erinnerung beitragen. Aus ihrem Blickwinkel sehen wir Warschau zur Zeit des Aufstands.
„Powstanie Warszawskie“ besteht vollständig aus historischen Aufnahmen, die vom Propaganda- und Informationsbüro der Heimatarmee produziert und nach dem Ende des Warschauer Aufstands in einem Versteck gerettet wurden. Nur sechs von ursprünglich 20 Stunden Filmmaterial blieben erhalten. Die für „Powstanie Warszawskie“ ausgewählten, ohne Ton gedrehten dokumentarischen Aufnahmen wurden aufwändig restauriert, koloriert und synchronisiert. Mit Hilfe von Lippenlesern wurden sogar die Dialoge der Menschen im Bild rekonstruiert, so dass die stummen Zeugen der Geschichte nun wieder zu uns sprechen. [Rainer Mende]
15.09. / 18:00 / Zeughauskino [ONLINE-TICKET]
Warschauer Aufstand ©The Warsaw Rising Museum
Kooperationspartner: Deutsches Historisches Museum / Zeughauskino
Die Retrospektive Himmel aus Stein. Der Warschauer Aufstand im Film findet im Rahmen des Festivals filmPOLSKA und des Programmschwerpunkts Geschichte und Bildung statt, der aus dem Fonds für Kulturförderung des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen unterstützt wird.
Titelfoto: Der Pianist ©Studio Canal