„Für den friedlichen Fall des ‚Eisernen Vorhangs‘ war ein geistiger Prozess ausschlaggebend, für den Papst Johannes Paul II. ungeheuer wichtig war und dessen Rolle noch lange nicht wissenschaftlich aufgearbeitet ist.“ – Diese These stellte Ex-Vizekanzler Erhard Busek in das Zentrum seiner Rede über „Johannes Paul II. und Mitteleuropa“, die er am Donnerstagabend im Polnischen Institut in Wien hielt. Dass dieser Papst bleibende geistliche und politische Impulse gegeben hat, war Grundtenor einer anschließenden Expertendebatte mit dem tschechischen Bischof Tomas Holub, Prof. Jan Machniak aus Krakau, dem Generalsekretär der Ungarischen Bischofskonferenz, Tamas Toth, dem slowakischen Priester Pavel Povazan und dem Rektor der Hochschule in Heiligenkreuz, Prof. Wolfgang Buchmüller.
Busek, der schon als Wiener Vizebürgermeister lange vor der Wende im Jahr 1989 persönliche Kontakte mit Dissidenten, katholischen Intellektuellen und Menschenrechtsaktivisten aufgebaut hatte, berichtete davon, dass Johannes Paul II. den Anstoß für das 1982 in Wien gegründete Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) gegeben hatte: „Ich erhielt von Johannes Paul II. einen Brief mit dem ausdrücklichen Ersuchen, dafür zu sorgen, dass in Wien ein Institut für Philosophen, Soziologen und Theologen aus dem mitteleuropäischen Raum geschaffen werden soll. Und mit diesem Brief ging ich zum damaligen Wiener Bürgermeister Leopold Gratz, der dafür 1 Mio. Schilling bereitstellte“, so der Vorsitzende des IWM-Kuratoriums.
Mit dieser Initiative aber auch bei den „legendären Castel Gandolfo-Gesprächen“ habe sich der Papst als ein interessiert Zuhörender und an einem offenen, pluralistischen Dialog Interessierter gezeigt. „Johannes Paul II. wollte ein Europa, das mit den beiden Lungenflügeln in Ost und West atmet, leider haben wir uns in den letzten Jahren voneinander entfernt“, konstatierte Busek und empfahl: „Die Erinnerung an Johannes Paul II. soll uns helfen, einander wieder näherzukommen.“
Barrieren überwinden
„Spannungen und Spaltungen sind wieder größer geworden, aber weniger zwischen den Nationen, sondern vielmehr innerhalb der Staaten und auch in der Kirche“, unterstrich Bischof Holub. Das Gegenmittel könne nur ein Dialog sein, der von der Bereitschaft zum Zuhören und der Überzeugung, dass der andere mich bereichern kann, getragen sein müsse. Dazu seien „persönliche Begegnungen unentbehrlich“ ergänzte der ungarische Kirchenhistoriker Toth. Dialog, Begegnung und ein positives Interesse am konkreten Menschen habe gerade Johannes Paul II. ausgezeichnet, hielten die Diskutanten unisono fest, die diese Haltung des Papstes bei persönlichen Zusammentreffen mehrfach erleben konnten.
Für die Überwindung bestehender Barrieren in Europa sei auch das gemeinsame Beten und Feiern des Glaubens wichtig, betonten die Geistlichen aus den fünf Ländern Mitteleuropas und verwiesen auf die verschiedenen Papstbesuche. So sei etwa der Mitteleuropäische Katholikentag 2004 in Mariazell ganz nach dem Wunsch von Papst Johannes Paul II. gewesen, führte Prof. Buchmüller aus. Damals sei deutlich geworden, dass die Gläubigen aus den acht teilnehmenden Ländern dieselben christlichen Wurzeln haben. „Europa würde es nicht schaden, etwas christlicher und solidarischer zu sein, auch und gerade zu Flüchtlingen“, so der Zisterzienser. Dass der christliche Glaube eine verbindende Kraft in Europa ist, bekräftigte auch Prof. Machniak aus Krakau: Es gelte Christus und die christlichen Werte im Blick zu behalten, „darauf kann man weiterbauen in Europa“.
„Fürchtet euch nicht vor Covid!“
Und was würde Johannes Paul II. heute bei einem Besuch in den Ländern Mitteleuropas sagen? „Fürchtet euch nicht vor Covid!“ Das wäre wohl das Erste, so der erst kürzlich von dieser Krankheit genesene Bischof von Pilsen, Holub. „Er würde auch die verloren gegangene Solidarität thematisieren und mutig über Sexualität sprechen, freilich im Wissen um die damit verbundenen Schwierigkeiten.“
„Den Ungarn würde der Papst sowie 1991 in Erinnerung rufen, dass wir gemeinsam frei sein können und dass wir den Dialog in Ungarn und darüber hinaus brauchen, damit wir einander besser verstehen können“, erklärte der Generalsekretär des ungarischen Episkopats, Toth. Ähnlich sah das auch der aus der Slowakei stammende und seit 2001 als Pfarrer in der Erzdiözese Wien wirkende Povasan: „Johannes Paul II. würde den Slowaken zuhören und fragen: Was braucht ihr?“
Christliches Menschenbild
Für den Lehrstuhlinhaber für spirituelle Theologie an der Päpstlichen Universität in Krakau würde der Papst jene Frage ins Zentrum stellen, die auch schon den jungen Karol Wojtyla in seinen Gedichten und Theaterstücken beschäftigt habe: „Wer ist der Mensch?“ Machniak weiter: „Eine christliche Anthropologie, die den Menschen als Abbild und Geschöpf Gottes, als Mann und Frau begreift“, das sei das große Thema des Papstes aus Polen gewesen, dass er auch heute seinen Landsleuten nahebringen würde. Und auf Basis dieser Anthropologie würde Johannes Paul II. gegenwärtige Ideologien genauso kritisieren, wie er es zu Lebzeiten mit totalitären Systemen gemacht habe.
Johannes Paul II. würde mit einer „positiven Botschaft in dreifacher Weise“ die Menschen von heute ansprechen, so der Rektor der Hochschule in Heiligenkreuz: „Gott liebt jeden Menschen, und der Mensch ist zu Liebe berufen, die Sinn stiftet“, das wäre seine religiöse Botschaft. Ethisch würde der Papst für eine „Kultur des Lebens“ nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Debatte um die Sterbehilfe eintreten, und politisch würde er Europa Mut machen zu einem Mehr an Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenrechten. Österreich würde er dabei in die Pflicht nehmen, „eine Brücke zu sein“, so Buchmüller.
Eröffnet wurde der Abend vom Direktor des Polnischen Instituts, Rafal Sobczak, der auf die historische Rolle von Papst Johannes Paul II. zur friedlichen Wende 1989 in Europa einging. „Der Papst des 20. Jahrhunderts“ habe nicht nur die Gründung der polnischen Solidarnosc unterstützt, sondern auch das „Paneuropäische Picknick“ im Sommer 1989 an der österreichisch-ungarischen Grenze, das den Eisernen Vorhang löchrig machte, bis hin zur „Samtenen Revolution“ in Tschechien und zur „Singenden Revolution“ im Baltikum.
Quelle: Kathpress Austria