23.01.2025 - 26.04.2025 Ausstellungen, Kunst

Stopfen, stricken, patchen… Der Kleider neues Leben! 

Agnieszka Kasztelowicz, Małgorzata Markiewicz, Małgorzata Mirga-Tas, Anne Peschken & Marek Pisarsky, Alke Reeh

Stopfen, stricken, patchen… Der Kleider neues Leben!               

Künstlerinnen und Künstler: Agnieszka Kasztelowicz, Małgorzata Markiewicz, Małgorzata Mirga-Tas, Anne Peschken & Marek Pisarsky, Alke Reeh

Kuratorin: Prof. Dr. Marta Smolińska

In der Zusammenarbeit mit CENTRUM KULTURY ZAMEK in Poznań

Eröffnung: Donnerstag, 23.01.2025 um 19 Uhr 

24.01 – 26.04.2025

Galerie des Polnischen Instituts Düsseldorf, Citadellstr. 7, 40213 Düsseldorf

Wir leben in einer Epoche allgemeiner Überproduktion. Ein Zeichen davon sind die Kleiderberge, die sich in Afrika und Südamerika zu Mülllawinen ansammeln. Sie sind das Ergebnis unserer Verstrickung in die höchst unökologischen und unethischen Mechanismen von Fast Fashion. Fast Fashion: das sind billige Discounterklamotten, die in Fabriken auf der ganzen Welt genäht werden, meist von Arbeiter*innen, die zu Dumping-Löhnen arbeiten müssen. Auch die Qualität der Materialien ist nicht die beste. Jede Saison erliegen viele von uns dem Modefieber, kaufen neue Kleidungsstücke und werfen die alten weg. Die Künstler*innen der Ausstellung weisen darauf hin, dass die in der Fast Fashion verwendeten Materialien nicht biologisch abbaubar sind. Sie machen uns auch auf die Ausbeutung der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie aufmerksam. Doch heute reicht reine Aufklärung nicht mehr aus – die Aufgabe der Kunst besteht auch darin, Strategien vorzuschlagen, die uns helfen, die Überproduktion zu reduzieren und weniger Kleidung wegzuwerfen, die uns langweilig geworden ist. Die Kunst ruft uns zu einem Mentalitätswandel auf.

Abb. Anne Peschken | Marek Pisarsky, Szwaczki, The Seamstresses, 2022, Öl auf Leinwand, 180 cm x 300 cm, Photo Peschken | Pisarsky

 

AUSGESTELLTE WERKE:

Anne Peschken & Marek Pisarsky – The Seamstresses | Näherinnen | Szwaczki, 2022

Oil on canvas, 180 cm x 300 cm

Das Gemälde „Näherinnen“ von Anne Peschken und Mark Pisarsky zeigt eine Fabrik in China, in der Fast Fashion-Kleidung hergestellt wird. Darauf sind Frauen zu sehen, die Masken tragen. Das Werk der Künstler*innen spielt auf die Zeit der Pandemie an, in der die Produktion der Bekleidungsindustrie stark zurückgegangen ist. Mit ihrer Darstellung weist das Künstler:innenduo auf zwei Themen hin: sehr schlecht bezahlte Arbeit unter prekären Bedingungen und die Krise der Branche während der COVID-19-Pandemie, die vor allem die am schlechtesten bezahlten Arbeitskräfte traf. Darüber hinaus wird die Leinwand mit einer von Peschken und Pisarsky erfundenen Recyclingtechnik hergestellt, die die ursprünglich benötigte Materialmenge zur Erstellung von Leinwänden um 50 % reduziert. Gemälde auf Leinwand sind auch Textilien, so umfasst das Thema der Ausstellung sowohl das abgebildete Motiv als auch die Technik des Werks selbst. Paradoxerweise kann auch die Malerei, die Kunst im Allgemeinen, unnötig und überflüssig werden – genau wie die Produkte der Bekleidungsindustrie.

Mehr Informationen zu der Technik des Gemälde-Recyclings erhalten Sie unter:

https:| | urbanart-berlin.de| pl| Prace-Projekty| Globalpix-Pixelbilder

 

Anne Peschken und Marek Pisarsky – Untitel |  o.T. |  bez tytułu, 2024 |

object, textiles, 200 cm x  ?? cm x ?? cm

Anne Peschkens und Mark Pisarskys Arbeit ohne Titel ist eine Art Wandteppich, der auf einem Webstuhl aus Gemälden gewebt wird, die zuvor in Streifen gerissen wurden, weil sie keinerlei Verwendung mehr fanden. Das Projekt zur Reduzierung der überproduzierten Gemälde bringt dieses Mal jedoch kein weiteres Gemälde hervor, sondern ein textiles Werk, das in Innenräumen funktionieren kann und darauf hinweist, dass das Phänomen der Überproduktion auch im Bereich der Kunst gilt.

https:| | urbanart-berlin.de| pl| Prace-Projekty| Globalpix-Pixelbilder

 

Małgorzata Markiewicz – 100% Recycling, 2004 |

textiles, clothing, various dimensions

Małgorzata Markiewicz begann bereits 2004, sich mit der Wiederaufbereitung von Second-Hand-Kleidung zu beschäftigen. Damals wurde die Serie „100% Recycling“ entwickelt. Die Idee zum Projekt bestand darin, gebrauchte Kleidung zu kaufen und zu sammeln, um daraus neue Kleidung, Skulpturen oder Objekte zu komponieren. Diese Kleidung wurde dann durch Wiederverwendung zum neuen Leben erweckt. Für Markiewicz war es wichtig, einzelne Kleidungsstücke aus zweiter Hand zu zerschneiden, zu vermischen, neu zu arrangieren und wieder zusammenzusetzen. Die Künstlerin betont: „So geben zum Beispiel Kleidungsstücke mit außergewöhnlich langen Ärmeln Anlass zur Reflexion über die Beziehungen (Abhängigkeiten), die wir eingehen, ohne die wir aber nicht funktionieren können. Ärmel können immer wieder neu angenäht werden und schaffen so neue Verbindungen (Beziehungen). Beim Recycling geht es darum, gebrauchte Gegenstände in veränderter Form wieder in Umlauf zu bringen. Auf diese Weise sind ihre Teile, Moleküle und Atome, weiterhin in unserem Leben, Denken und Handeln präsent. Recycling fördert die Aufrechterhaltung der zirkulierenden Energie“.

  

Małgorzata Markiewicz – Residue-Free Design |  Recyclingfreies Design |  Bezresztkowy design, 2017, cooperation with Cooperativa Spółdzielnia Ushirija & Razem Pamoja Foundation, Kenya coats | objects, textiles, 110 cm x 95 cm

Im Jahr 2016 begann Markiewicz, die Idee des stücklosen Designs in ihrer Arbeit umzusetzen. Die Künstlerin näht aus den Enden von Wollstoffballen ihre eigenen einzigartigen Mäntel. Beim Zuschneiden und Nähen entstehen keine Stoffreste. Markiewicz betont: „Meinen ersten Mantel ohne Stoffreste habe ich 2016 genäht. Er war das Ergebnis einer konzeptionellen Herausforderung, die ich mir selbst gestellt habe, indem ich mir die Frage stellte, ob es überhaupt möglich ist, einen Design-Schnitt zu machen, der die gesamte Breite und Länge des Stoffes nutzt (zugeschnitten aus einem Meter einer bestimmten Breite). Kann ich mir etwas einfallen lassen, das gleichermaßen einfach zu machen ist, gut aussieht und funktionell ist? Ich bin keine Modedesignerin und will es auch nicht werden, aber ich habe mich eigentlich immer mit Kleidung beschäftigt – ich benutze sie als Metapher oder als Kritik am Zustand der Welt.“

 

Małgorzata Markiewicz – Pairs |  Paare |  Pary¸1, 2, 3, 4, 5, 6, 2006–2022

objects, gloves, textiles|  20 cm x 25 cm x 14 cm

Fast jeder von uns hat schon einmal einen Handschuh verloren. Der Übergebliebene wird normalerweise achtlos weggeworfen. Markiewicz zeigt in ihrer Serie ‚Paare‘, dass es auch anders geht. Denn Handschuhe müssen nicht identisch und symmetrisch sein! Die Künstlerin kreiert neue Paare, indem sie einzelne Handschuhe kombiniert, die zuvor ihr ursprüngliches Paar verloren haben. Ein roter Handschuh trifft auf einen dunkelblauen, ein heller auf einen dunklen, ein Herrenhandschuh auf einen Damenhandschuh, ein teurer auf einen Billighandschuh, ein aus Garn gestrickter auf einen Markenhandschuh, und so entstehen neue, einzigartige Duos. Einzelne Handschuhe müssen also nicht weggeworfen werden – wie Markiewicz zeigt, kann man ihnen ein neues Leben geben! Laut der Künstlerin erzählt dieses Werk „eine einfache und anschauliche Geschichte über Beziehungen, wechselseitige Abhängigkeit und Wertschätzung“.

 

Małgorzata MarkiewiczMending Cracks. For Ben |  Die Risse reparieren. Für Ben |  Risse reparieren. Dla Bena |  Reperowanie pęknięć, 2021 |  knitted fabric, wool, 50 cm x 65 cm

In diesem Werk verwendet Markiewicz Techniken des Überarbeitens, Reparierens, Nähens und Flickens. „Ich interessiere mich für das Ausbessern, für das Reparieren auf eine Art und Weise, die sichtbar ist, die nicht verdeckt, dass etwas kaputt ist, dafür, aus einer Unvollkommenheit eine Bereicherung zu machen, die Schönheit darin zu sehen… Ausbessern und die Lücken ausfüllen, anstatt es wegzuwerfen und durch ein neues zu ersetzen. Zu Hause, wie im Alltag, gibt es immer etwas zu reparieren“, sagt die Künstlerin über ihre Arbeit. In Markiewiczs Werk fungieren Kleidung und die Rituale der Veränderung nicht nur als praktikable Strategien im Kampf gegen Überproduktion und Fast Fashion, sondern werden auch zu Metaphern für die menschliche Existenz. Die aufgearbeiteten zerrissenen, löchrigen und abgenutzten Kleidungsstücke erhalten ein neues Leben und eine Schönheit, die ihrer Vergangenheit Rechnung trägt. Sie sind Unikate und damit das Gegenteil von Massenmode aus Handelsketten.

  

Małgorzata Markiewicz – Mending Cracks  |  Löcher flicken, 2017 |

from the series Mending Cracks (part of the work), cooperation with Cooperativa Spółdzielnia Ushirija & Razem Pamoja Foundation, Kenya |  knitted jumper fabric, wool, boro stitch

Die Pullover der Serie „Mending Cracks| Fishing Holes“ hat Markiewicz in Zusammenarbeit mit der Stiftung Razem Pamoja hergestellt. Diese Stiftung unterstützt die Ausbildung von Kindern aus den Mathare-Slums in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, durch die Finanzierung von akademischen Stipendien. Auf den Fotos aus Mathare fiel der Künstlerin auf, dass die Kinder sehr abgetragene, löchrige Pullover trugen, die ihnen als Schuluniform dienten. Das motivierte Markiewicz nach Kenia zu reisen und diese Löcher zu flicken. Im Juli 2017 sammelte die Künstlerin zusammen mit Justus Omondi in Mathare die Pullover von 21 Schüler:innen zweier Schulen, die von der Stiftung Razem Pamoja unterstützt werden. Im Tausch gegen die gebrauchten Kleidungsstücke erhielten die Schüler:innen neue, die von der Stiftung gekauft wurden. Die Pullover wurden dann gewaschen und Markiewicz machte sich daran, sie zu reparieren und die großen Löcher mit rotem Kaschmir zu füllen. Die Künstlerin wurde bei dieser Arbeit von Frauen der Usihirka-Kooperative unterstützt. Für die Reparaturen verwendeten sie den Boro-Stil nach japanischem Vorbild. Wie Markiewicz betont, bezeichnen die kenianischen Frauen diese Arbeit als Flicken der Löcher in ihrem eigenen Leben, weil sie dadurch die Chance auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder haben. Die Pullover werden von der Künstlerin nicht nur repariert, sondern auch so umgestaltet, dass sie von Erwachsenen getragen werden können.

 

Małgorzata Markiewicz – Pimoa Chthulu, 2021 |

object, sheep’s wool, crocheting, 1000 cm x 1000 cm x 300 cm

Der Titel „Pimoa Chthulu“ bezieht sich auf die fiktive Spinnenfigur, die von der amerikanischen Philosophin und Biologin Donna J. Haraway in ihrer Theorie verwendet wird. Die Theoretikerin hat den Namen der tatsächlichen, in Kalifornien lebenden Spinne „Pimoa Cthulhu“ abgeändert. Der ursprüngliche Name stammt aus der Sprache des indigenen Volkes der Goshute in Utah: Pimoa bedeutet große Beine, während Chthulu – den Kräften des Chaos ähnlich. In Haraways Fall stammt der veränderte zweite Teil von „Chthulu“ von dem Wort „Chthonic“, was „chthonisch“ bedeutet – abgeleitet von der unterirdischen Welt, die alles Leben antreibt. In Haraways Denken verweist „Pimoa Chthulu“ auf die Tatsache, dass alles mit allem verbunden ist – wie in einem Spinnennetz. Markiewicz hat diese Idee materialisiert, indem er ein Objekt aus schwarzer Schafwolle von polnischen Schafen schuf. Dieses Material ist nicht zufällig gewählt, denn diese Wolle wird in der Bekleidungsindustrie kaum noch verwendet und meist weggeworfen. Die große Spinne und sieben so genannten Großmüttern der Spinnen wurden von der Künstlerin selbst gehäkelt und gestrickt (nach dem Glauben der Hopi-Indianer hat die Großmutter Spinne die Welt erschaffen). „Pimoa Chthulu“ symbolisiert die Figur der Weberin, die die Macht hat, durch Handarbeit neue Beziehungen aufzubauen, die es ihr ermöglichen, sich von den Mechanismen der Fast Fashion zu lösen.

  

Małgorzata Markiewicz – Suturing with Diana |  Nähen mit Diana, 2023 |

objects, knitted jumper fabric, wool, boro stitch, 80 cm x 50 cm

In der Serie „Suturing with Diana| Nähen with Diana“ setzt Markiewicz die in den Arbeiten der Serie „Mending Cracks“ begonnene Strategie fort. Diesmal arbeitet sie aus der Ferne mit Diana Sule aus Kenia zusammen. Die Künstlerin betont: „Diana Sule ist eine wunderbare, sehr weise und mutige alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Es gab ein paar Momente in ihrem Leben, die sie für immer hätten brechen können. Sie verließ den Mann, der ihr gegenüber gewalttätig war, was für kenianische Verhältnisse ein Akt großen Mutes ist. Diana studierte einst Wirtschaftswissenschaften, doch ein brutaler Angriff und eine Vergewaltigung auf dem Universitätscampus, die sie als junges Mädchen erlebte, haben sie schwer traumatisiert. Da sie Angst hatte, ihr Wohnheim zu verlassen, nahm sie nicht am Unterricht teil, was dazu führte, dass sie exmatrikuliert wurde und ihr Vater die Finanzierung ihres Studiums einstellte. Die Stiftung Razem Pamoja gab Diana die Chance, die ihr von ihrem Vater verwehrt wurde. Sie schloss ihr Bachelor-Studium der Wirtschaftswissenschaften ab. Ihr Gedichtband wurde verkauft und mit dem Erlös konnte sie ihre Studiengebühren begleichen. Leider kann sie immer noch keine Arbeit finden, da Personen mit einem Masterabschluss bevorzugt werden… Ich habe Dianas Bewerbung für einen Masterstudium unterstützt, doch diese wurde abgelehnt, mit der Begründung, sie bewerbe sich zu früh nach ihrem Bachelorabschluss… Ein Teufelskreis also. Seit meinem letzten Aufenthalt in Kenia im Jahr 2019 stehe ich in regelmäßigem Kontakt mit zwei Frauen, Diana ist eine von denen. Als ich sie kürzlich fragte, wie ihr Leben verläuft, erwähnte sie, dass ihre größte Sorge das Schulgeld für ihre Tochter PhelicRegina ist. Ich erkundigte mich nach den jährlichen Kosten – sie betragen 150 Dollar. Ich beschloss, ihr die Möglichkeit zu geben, dieses Geld zu verdienen, und schlug ihr vor, ein neues Objekt anzufertigen – einen Pullover, der wie die zuvor geflickt wurde, aber aus andersfarbigen Uniformen bestand. […]  Ich half Diana, Geld zu verdienen, um das Schulgeld zu bezahlen und sie half mir bei der Arbeit. […] Ich erklärte, dass wir jedes Jahr einen solchen Austausch machen können, damit das Schulgeld für ihre Tochter davon bezahlt werden kann. Ich fühle mich verantwortlich für die Menschen, die ich auf meinem Weg treffe. Die Aktion mit der Stiftung Razem Pamoja aus dem Jahr 2017 hat keine Kontinuität und endete für die Menschen dort ziemlich dramatisch, deshalb wollte ich nicht, dass meine Beziehung und Arbeit in Kenia nur eine Form von Opportunismus für meine eigenen künstlerischen Ziele| Projekte ist. Ich wollte wirklich, dass es eine echte Fortsetzung und Auswirkung auf die Verbesserung des Lebens von zumindest einigen Menschen hat, die ich damals getroffen habe. Um das notwendige Material, d.h. drei löchrige Pullover, zu beschaffen, musste Diana sie durch neue ersetzen (um sie den Schülern zu geben) – ich überwies ihr die Summe von 180 Zloty für drei neue Pullover, Stoff, Garn und Nadeln plus etwas Kleingeld für Transport und Essen für die Kinder. Außerdem musste ich diese Pullover für 200 Zloty mit der Post nach Polen schicken und Diana für ihre Arbeit bezahlen, d. h. für das Schulgeld für PhalicRegina – 150 Dollar, etwa 550 Zloty – insgesamt also etwa 1000 Zloty.“ In ihrer Arbeitsbeziehung zu Markiewicz flickt Diana Sule also nicht nur die Pullover, sondern auch ihre Haushaltskasse. Die Künstlerin hat auch ein Verfahren entwickelt, um gebrauchte Kleidung in Afrika zu flicken und sie zu uns in den Globalen Norden zurückzuschicken, damit sie in neuem Glanz erstrahlt und gleichzeitig die Menschen in Afrika unterstützt. Die Künstlerin lädt uns alle ein, sich an diesem Projekt zu beteiligen, um die Arbeit der Frauen in Kenia zu unterstützen.

  

Małgorzata Markiewicz – Pimoa Chthulu – eine Serie von Porträts, 2021

series of 8 photographs | digital print on Hahnemühle FineArt William Turner paper,

70 cm x 100 cm

Die von Michał Łuczak aufgenommenen schwarz-weiß Fotos zeigen die Künstlerin selbst und weitere Frauen, die Małgorzata Markiewicz halfen, „Pimoa Chthulu“ zu häkeln. Alle halten eine vergrößerte Häkelnadel in den Händen. Die Nadel hat eine phallische Form. Sie ähnelt auch einem Zepter, das die porträtierten Frauen wie Königinnen halten. Der Titel verbindet diese Serie mit dem gleichnamigen Objekt und verweist auf die Rolle der Frau als Weberin, die – von der Tradition gegeben – die Macht inne hat, zu häkeln, zu flicken und zu nähen. Neben Markiewicz selbst verweist sie auch auf eine Fotografie von Louise Bourgeois aus dem Jahr 1981, auf der die berühmte Künstlerin eines ihrer Werke – ein phallisches Objekt – in der Hand hält. Markiewicz identifiziert sich damit mit Bourgeois, der Schöpferin großer Metallspinnen, die die weibliche Weberin, die mythische Arachne, symbolisieren.

 

Małgorzata Markiewicz – Medusa |  Meduza, 2020

objeckt crocheting, sheeps wool, sisal, linen, hemp, acrylic, mohair, tentacles, 1500 cm and Fotografien 1-4

Die für die Herstellung von „Medusa“ verwendeten Materialien stammen größtenteils aus der Natur: weiße, graue und schwarze Schafwolle, die sehr kratzig ist, verbunden mit Leinen, Hanf und Sisal, die von Justyna Czerwiowska mit natürlichen Mitteln gefärbt wurden. Markiewicz verwendete auch andere Wolle, die sich edler und angenehmer anfühlt, sowie Acrylfarben, die sie als rau und unangenehm beschreibt, als wenn man Schmirgelpapier als Kleidung tragen würde. Die Künstlerin schreibt über „Medusa“: „Sie ist eine Urgestalt, die aus den dunklen Bereichen des Unterbewusstseins kommt und Angst und Ekel erregt. Sie ist die Verkörperung unterdrückter Wünsche und Triebe, die in der Frau durch die Kultur geknechtet werden. Die Angst vor ihr ist auch eine Angst vor der schöpferischen Kraft der Frau. Ich nenne sie Medusa, weil sie, wenn wir sie ansehen und uns an ihren Anblick gewöhnen, ein Teil von uns wird und schön ist“. Sie ist also – zusammen mit der Spinne| dem Netz – eine Figur, die die schöpferische Kraft der Frauen in Bezug auf Textilien und traditionelle Textiltechniken symbolisiert. Das uralte Wissen der Frauen wird als entscheidend für das Flicken von Kleidern und damit für das „Flicken“ einer in die Mechanismen der Fast Fashion verstrickten Welt dargestellt.

 

Małgorzata Markiewicz – Smuggled Whispers |  Geschmuggeltes Geflüster, 2007

series of 4 photographs |  digital print, 50 cm x 70 cm

In ausgewählte Kleidungsstücke nähte die Künstlerin „Botschaften“ der Menschen, die die Kleidungsstücke hergestellt haben, ein, die sich an potenzielle Kunden:innen sowie Kunden:innen sogenannter Ladenketten richten. Auf diese Weise verlieren die schlecht bezahlten Arbeiter:innen, die für die Fast-Fashion-Industrie produzieren, ihre Anonymität und informieren uns über die schwierigen Bedingungen, unter denen sie arbeiten und leben. Das konkrete Kleidungsstück wird so zum Träger der Geschichten und menschlicher Schicksale und nicht nur zu einem anonymen Produkt.

  

Małgorzata Markiewicz – String Figures, 2022

series of 8 photographs |  digital print, ???? cm x cm

Das Werk der Künstlerin zeigt die Figur einer Spinne, die die Weberin und den Mythos der Arachne symbolisiert. Arachne hielt sich für eine unangefochtene Meisterin des Webens und Stickens. Diese Einbildung provozierte die Göttin Athene, die sie zu einem Webduell herausforderte. Athene stickte Bilder der olympische Götter und in den Ecken des Gewebes platzierte sie Beispiele für die Strafen, die Menschen für ihre Hochmut ereilen. Diese klare Botschaft hielt Arachne nicht ab, die auf ihren Webstühlen Bilder der Götter in Liebesszenen  mit irdischen Mädchen webte. Ihr Stoff war mindestens so schön wie die Stickereien der Athene. Im Zorn zerriss die Göttin Arachnes Arbeit und schlug sie mit einem Webschiffchen. In ihrer Verzweiflung beging Arachne Selbstmord. Athene beschloss, die Selbstmörderin wieder zum Leben zu erwecken – allerdings nicht mehr in der Gestalt eines Menschen, sondern einer Spinne, die immer komplizierte Fäden weben würde. Markiewiczs akribisch aus weißem und schwarzem Mohair gestricktes Werk zeugt vom Wissen der Frauen um traditionelle Techniken. Die Künstlerin lenkt unsere Aufmerksamkeit auf natürliche Materialien, die in der Fast-Fashion-Kultur ihre Bedeutung verloren haben. Mit ihren Arbeiten aktiviert und implementiert Markiewicz Strategien, die sich jeder von uns zu eigen machen kann, um sich der anorganischen und ausbeuterischen Produktion von Kleidung zu widersetzen.

 

Alke Reeh – Beauty of Color  |  Schönheit der Farbe, since 2017

Coptic table motif

In ihrer Werkserie „Schönheit der Farbe“ stellt Alke Reeh zwei ungleiche Elemente einander gegenüber: die massenhaft produzierte Plastiktüte, die wir überall auf der Welt erhalten, wenn wir Fast-Fashion-Kleidung kaufen, um sie dann schnell wegzuwerfen und die Stickerei, deren Herstellung Zeit und handwerkliches Können erfordert. Eines der Werke hat ein Stickerei-Motiv (kleine Parzenica), das aus Polen stammt und in Zusammenarbeit mit der Stickerin Jadwiga Gruca entstanden ist. Die Künstlerin schreibt: „Plastiktüten sind mit traditionellen Mustern bestickt, die Geschichte des Ortes ist so eingebunden. Der Blick auf die Tüte ändert sich, sie wird als wertvolles Objekt behandelt.“ Bei bestickten Plastiktüten entsteht also eine Spannung zwischen der nicht ökologisch, massenhaften, unpersönlichen und schnellen Produktion und dem persönlichen Engagement beim Sticken eines Designs, das mit einer bestimmten Region der Welt und ihren Traditionen verbunden ist.

 

Agnieszka Kasztelowicz – Faster Disaster, Clothing Industry Heading Towards Climate Disaster, 2023 |  infographics, digital print and object

Die dreidimensionale Infografik von Agnieszka Kasztelowicz macht uns bewusst, wie lange es dauert, bis sich ein Material zersetzt. Streifen aus organischen Stoffen wie Leinen und Baumwolle sind kurz, Streifen aus Polyester und Kunstfasern sind sehr lang, und Streifen aus Pailletten, die sich nie zersetzen, ziehen sich de facto ewig hin… Unsere Kleidungswahl sollte daher bewusst getroffen werden – auch in Bezug auf die biologische Abbauzeit des Materials. Traditionelle Infografiken hingegen enthalten eine Fülle von Informationen über Fast Fashion – Statistiken, die uns in visualisierter Form beispielsweise über die Transportwege der Kleidung, die Konsumgewohnheiten oder den Inhalt des Kleiderschranks einer Durchschnittsperson informieren.

  

Małgorzata Mirga-Tas – Sisters (Phenia) | Schwestern |  Siostry, 2019

acrylic, fabric, canvas, 180 cm x 200 cm | Collection of the ING Polish Art Foundation

Die Arbeit von Małgorzata Mirga-Tas zeigt vier Frauen aus der Familie der Künstlerin, die ihr 2016 bei der Vorbereitung eines ortsspezifischen Projekts für den Ethnografischen Park Sądecki geholfen haben. Die Arbeit ist somit eine Art „Dokument“, das die Arbeit an diesem Projekt nacherzählt. Die damals entstandenen Patchworks wurden verwendet, um mehrere Roma-Häuser einzukleiden, die am Rande des Parks liegen und in der musealen Darstellung oft übersehen werden. So wurden gebrauchte Kleidung und Stoffe als Teil der kollektiven Frauenarbeit wiederverwertet. Das Gemälde von Mirga-Tas zeigt Frauen, die Wäsche aufhängen, aus zerschnittenen Textilien Zöpfe flechten, ein Tuch ausbreiten und an einer Nähmaschine arbeiten. Es handelt sich dabei um eine gemeinschaftliche Aktion, die eine Geste der Fürsorge und Sorge darstellt, die gleichzeitig das architektonische Erbe der Roma und die Tradition der Wiederverwendung gebrauchter Kleidung und Stoffe hervorhebt. Die titelgebenden Schwestern verleihen den Stoffen ein neues Leben, indem sie sie in den Kunstkreislauf einführen.

 

 

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