23.04.2013 - 29.04.2013 Literatur, Programm

Die Liebe im Ghetto. Zum 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto

 

 

Di 23.04.2013 – Mo 29.04.2013 Gießen, Essen, Frankfurt/Main

Eine Veranstaltung anlässlich des 70. Jahrestages des Aufstand im Warschauer Ghetto.
Buchpräsentation und Gespräch mit Paula Sawicka über Marek Edelman und sein Buch „Die Liebe im Ghetto“.

Termine und Orte
Dienstag, 23.04.2013, 19.00 Uhr
Universität Gießen, Ausstellungsraum der Universitätsbibliothek Gießen, Otto-Behaghel-Straße 8, 35394 Gießen, Eintritt frei
 Donnerstag, 25.04.2013, 19.00 Uhr
Alte Synagoge, Edmund-Körner-Platz 1, 45127 Essen, Seminarraum, Zugang Alfredistraße
Moderation Uri Kaufmann
Montag, 29.04.2013, 18.15 Uhr
Goethe Universität Frankfurt, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, Casino, Raum 1.802

Marek Edelman war einer der Anführer des jüdischen Widerstands im Warschauer Ghetto und ein unbequemer Mahner. Mit nur einer Handvoll Gefährten organisierte der damals Zweiundzwanzigjährige 1943 den kurzen, hoffnungslosen Kampf gegen die übermächtigen Deutschen. Eindringlich lässt Edelman seine Erinnerungen an das Ghetto lebendig werden. Hier rettete er Gefährten vor der Deportation und gab unter Einsatz seines Lebens das Untergrund-Bulletin heraus. Hier erfuhr er aber auch Zusammenhalt im Angesicht der Gefahr, erlebte bewegende Momente der Liebe, der Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern, zwischen jungen und älteren Liebenden.
Als Marek Edelman 2009 starb, schrieb Die Welt: »Edelman erzählte seiner Gefährtin aus dem liberalen Solidarność-Milieu Paula Sawicka, wonach ihn bisher noch niemand gefragt hat: Liebesgeschichten aus dem Warschauer Ghetto, wahre Begebenheiten. Das ist sein Vermächtnis.“
Marek Edelman wurde 1921 in Warschau geboren. Er war einer der Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto. Nach Kriegsende studierte Edelman Medizin und wurde Kardiologe. Später engagierte er sich in der Gewerkschaft Solidarność. Erst 1976 brach er sein langes Schweigen über die Zeit im Ghetto. Die Geschichte seines Lebens wurde mehrfach verfilmt. Marek Edelman starb 2009.

Paula Sawicka ist Psychologin, Dozentin, Übersetzerin aus dem Englischen. In den 70-ger und 80-ger Jahren engagierte sie sich aktiv in der demokratischen Opposition und wirkte nach 1989 an der Schaffung eines neuen, freien Polens mit. Seit 2004 ist die Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft Offene Republik.
Kooperation: Gießener Zentrum Östliches Europa (GIZO) der Universität Gießen, Universitätsbibliothek Gießen, Jüdisches Museum Frankfurt, Universität Frankfurt, Alte Synagoge Essen, Verlag Schöffling & Co


Der Aufstand im Warschauer Ghetto – ein zutiefst polnischer Aufstand
Władysław Bartoszewski im Gespräch mit Aleksandra Klich und Jarosław Kurski
(Gazeta Wyborcza, 12. April 2013)

Warschau, 19. April 1943. An einem Haus am Muranowski-Platz hängen zwei Flaggen: die weiß-blaue jüdische und die weiß-rote polnische. Es ist ein Haus im Ghetto, in dem an diesem Tag die Juden den Aufstand beginnen. Erinnern Sie sich an diese Flaggen?
Władysław Bartoszewski: Natürlich. Sie hingen so hoch, dass man sie aus der Straßenbahn, mit der ich nach Żolibórz fuhr, gut sehen konnte. Auf der Ghetto-Seite kämpfte ein Trupp des Jüdischen Militärverbands, auf der arischen Seite, von der Bonifaterska her, liefen die Leute zusammen. Sie waren offensichtlich bewegt.
Ein spezieller Sturmtrupp attackierte auf Befehl des SS-Generals Jürgen Stroop die jüdischen Stellungen und nahm am 20. April nach einem verbissenen Kampf die Flaggen ab. Stroop erwähnt das in seinem Bericht. Er schreibt, dass in diesem Kampf ein SS-Untersturmführer Dehmke fiel.
Die nebeneinanderhängenden Flaggen waren ein Symbol der Gemeinschaft. Die Deutschen hatten nicht zu entscheiden, welches Warschau besser sei und welches schlechter. Es gab nur ein Warschau.

Der Aufstand im Ghetto war der erste Warschauer Aufstand?
Zweifellos wurde mehrere Wochen im Zentrum der Stadt verbissen gekämpft, die erste große bewaffnete Aktion in den Warschauer Straßen seit dem Beginn der Besatzung im September 1939. Mordechaj Anielewicz, Deckname „Aniołek“, der Anführer der Aktion im Zentrum des Ghettos schrieb seinem Stellvertreter Jitzhak „Antek“ Zuckerman, der sich auf der arischen Seite aufhielt: „Mein Lebenstraum hat sich erfüllt. Die jüdische Selbstverteidigung im Ghetto ist ein Faktum. Der bewaffnete jüdische Widerstand und die jüdische Vergeltung sind Wirklichkeit geworden. Ich habe gesehen, wie wunderbar heldenhaft jüdische Truppen kämpften.“ Was Anielewicz schlicht „Selbstverteidigung“ nannte, bezeichneten die Nazis, die in den ersten Stunden vom Widerstand der Juden überrascht waren und panisch reagierten, in einer Depesche nach Berlin als „gut organisierten Aufstand“. Es kommt also auf den Standpunkt an, von dem aus man die Absicht und die Folgen betrachtet.

Sie arbeiteten damals in der Żegota, dem Rat für die Unterstützung der Juden. Waren Sie überrascht, dass die Juden zu den Waffen griffen? Es hieß ja – Marek Edelman erinnert daran, einer der Anführer des Aufstands –, sie könnten nicht schießen, ihnen Gewehre zu geben, wäre Verschwendung.
Nein, wir waren kein bisschen, wir hatten damit gerechnet. Denn erstens kamen die Waffen von uns, entweder von der Heimatarmee oder vom Schwarzmarkt – wir hatten ja selbst kaum welche. Und zweitens gab es im Ghetto Unteroffiziere der Reserve; es war klar, dass sie sich früher oder später zur Wehr setzen würden.
Im Ghetto herrschten furchtbare Zustände. Die Deutschen hatten schon 1942 fast die gesamte Bevölkerung ins Vernichtungslager gebracht. Geblieben waren die fünfzig- bis sechzigtausend Jüngsten und Gesündesten. Zweihundert von ihnen entschlossen sich zur Selbstverteidigung und agitierten die übrigen. Die erste Aktion gab es im Januar 1943, als die Deutschen achttausend Menschen nach Treblinka deportieren wollten. Ab da mussten die Deutschen mit weiterem Widerstand rechnen, aber sie ahnten nicht, wie entschlossen die Juden waren. Dass sie dank der Heimatarmee bewaffnet waren und ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen wollten.

Es waren also die polnischen Juden, die sich als erste gegen die Deutschen erhoben. Mehr als ein Jahr vor Ausbruch des Warschauer Aufstands.
Sie wurden als erste vor eine endgültige Wahl gestellt: Sich entweder abschlachten zu lassen oder sich zu wehren, laut aufzuschreien: „Ich lasse das nicht zu!“ Sie wählten die zweite Möglichkeit. Wie es die Jüdische Kampforganisation in einem Appell vom 4. Dezember 1942 angekündigt hatte: „Der Hitlerismus hat die Auslöschung aller Juden zum Ziel. Wir wollen in dieser Situation kein Dreck, kein Gewürm sein. Helft euch gegenseitig. Seid bereit, euer Leben zu verteidigen. Denkt immer daran, dass auch wir – die jüdische Zivilbevölkerung – an der Front für Freiheit und Menschlichkeit kämpfen.“
Für mich liegt die Größe des Ghettoaufstands, dass es ein völlig aussichtsloser Kampf war. Ein typisch polnischer Kampf um die Ehre. Die Ehre gebietet einem Mann, „Nein!“ zu sagen, wenn Schwächere sterben: Frauen, Kinder, Greise. Sie zu verteidigen, bis zuletzt, auch um den Preis des eigenen Lebens. Diese Haltung führte zum Aufstand im Warschauer Ghetto.
Der Warschauer Aufstand indes erwuchs aus anderen Motiven. Er war Teil der Strategie einer der alliierten Armeen, der Heimatarmee. Für uns, die Polen im arischen Teil Warschaus, war im Sommer 1944 der Aufstand eine nationale Notwendigkeit, wir wollten beweisen, dass wir unsere Hauptstadt selbst befreien können.
Die polnischen Juden, die ein Jahr früher zu den Waffen griffen, hatten keine Chance. Die Front war fern, knapp westlich der Wolga. Sie konnten nicht auf Unterstützung aus der Luft hoffen. Sie verfolgten keine strategischen Ziele. Wenn man also über die Sinnhaftigkeit des Warschauer Aufstandes streiten kann, so ist der Sinn des Aufstands im Warschauer Ghetto eindeutig: Er war ein Brandopfer. Ein Masada ohne jegliche Hoffnung. Aus diesem Grund wurde in Israel der Ghettoaufstand lange geringgeschätzt. Man schämte sich seiner sogar. Der Staat Israel zog seine Stärke aus militärischen Siegen, nicht aus Niederlagen, selbst wenn es moralische Siege waren. Der Ghettoaufstand passte nicht in dieses Bild.

Zum 45. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto schrieb Lech Wałęsa an Marek Edelman, es handele sich vielleicht um den polnischsten aller polnischen Aufstände.
Und er hat recht. Einen derart in der romantischen Tradition wurzelnden Aufstand konnten nur die polnischen Juden organisieren. Ich betone: die polnischen. In keinem anderen von Hitler besetzten Land war ein derartiger polnisch-jüdischer Irrsinn denkbar.

Die Organisatoren des Aufstands, zumal der Bund mit Marek Edelman, wollten mit der Heimatarmee kooperieren. Das gelang nicht ganz.
Die Heimatarmee war nicht darauf eingestellt, das Ghetto zu retten, was viele Leute schmerzte. Das hatte verschiedene Gründe. Ein erster Schlag war im März 1943 die Verhaftung von Arje Wilner, einem Verbindungsmann aus dem Ghetto, der uns kontaktierte, um etwa Waffen für die Juden zu organisieren. Man muss nicht darüber streiten, wie viele sie bekamen, wir hatten selbst fast keine. Und selbst wenn es fünf Mal so viele Pistolen gewesen wären, wären höchsten ein paar Deutsche mehr gestorben, das Ghetto hätte es nicht gerettet. Wilner verriet keine Namen, aber als Verbindungsmann war er verloren. Das schwächte die polnisch-jüdischen Kontakte. Die zweite Sache war, dass der Ghettoaufstand für die Heimatarmee zu früh ausbrach. Das hatten die Deutschen mit immer neuen Deportationen erzwungen. Vom bevorstehenden Aufstand erfuhr die Heimatarmee erst wenige Tage, bevor er ausbrach.

Hätte die Heimatarmee den jüdischen Aufständischen überhaupt helfen können?
Wie denn? Einen Aufstand in ganz Warschau machen? Bei all den deutschen Kräften und ohne Aussicht auf Hilfe von außen? Die vom Untergrund durchsetzte Stadt aufs Spiel setzen? Das Ghetto war nicht zu retten, höchstens einzelne Personen. Man versuchte es auch. Im Bericht über die Zerstörung des jüdischen Viertels erwähnt Stroop mehrfach die Kooperation der Polen mit den kämpfenden Juden sowie Angriffe von „polnischen Banditen“ auf Deutsche außerhalb des Ghettos. Es wäre leichter gewesen, wenn die Juden bereit gewesen wären, das Ghetto zu verlassen, aber sie wollten bis zuletzt dort ausharren, solange noch die Chance bestand, einen Deutschen zu erwischen. Die Juden kämpften einen aussichtslosen Kampf allein für ihre Werte. Dessen waren sie sich voll bewusst. Es waren kluge und intelligente Leute, die wussten, was sie taten.

Edelman hätte aus dem Ghetto fliehen können. Er tat es nicht, sondern blieb und kämpfte. Aus Verantwortungsbewusstsein: „Wer A sagt, muss auch B sagen“, sagte er immer. Aus diesem Grund beteiligte er sich – als Pole jüdischer Abstammung – auch am Warschauer Aufstand. Erst kämpfte er für das Lebensrecht der Juden, dann für Polen.
Menschen wie Marek Edelman sind ein Schatz. Sein Verhalten und seine Einstellung zeigen, dass es sich lohnt, anständig zu bleiben. Edelman schwebte eine Gemeinschaft vor, die nicht durch Rasse, Weltanschauung, Ethnie oder Nationalität geeint wird, sondern durch den humanen Kampf gegen das Böse und für die Armen und Schwachen. Ich lernte kennen, nachdem ich aus dem Gefängnis kam, 1956 oder 1957. Mir imponierte seine unglaubliche Konsequenz, die ihn zu einem großen Menschen machte, an der aber auch seine Familie zerbrach: Während der antisemitischen Kampagne 1968 ging seine Frau mit den Kindern nach Paris, er blieb. Das war eine bewusste Entscheidung. Er fühlte sich als Pole und beanspruchte für sich das Recht, in Polen zu leben wie jeder andere, und wollte sich von niemandem vorschreiben lassen, was er zu tun habe.

Wie Julian Tuwim, der in seinem ergreifenden Gedicht „Wir, die polnischen Juden“ schreibt: „Ich bin Pole, weil es mir gefällt“. Es war Krieg, Tuwim lebte in London, seine Mutter starb im Ghetto, doch er erklärte, warum er Pole sein möchte – mit jüdischen Wurzeln, von denen er sich nicht loszusagen gedachte.
Leute wie Tuwim, litauische Juden, hatten eigentlich keinen Grund, sich als polnische Staatsbürger zu fühlen, schließlich wurden sie auf russischem Staatsgebiet geboren, großenteils auch im Umfeld der russischen Kultur. Und doch wählten sie Polen.

Sie haben gesagt, man habe nicht Deutschen entscheiden lassen wollen, welches Warschau besser und welches schlechter sei, es habe nur eine Hauptstadt gegeben. Für manche Leute gab es während des Kriegs aber doch zwei Warschaus. Mein Vater hörte als Zehnjähriger an der Mauer zum brennenden Ghetto den Satz: „Die Jüdlein schmoren.“ Jan Nowak-Jeziorański erinnert sich, dass bei der Straßenbahnfahrt durchs Ghetto die anderen Passagiere gleichgültig den Blick von ausgehungerten Menschen abwandten. Und es gibt das Bild des Karussells an der Ghettomauer in Czesław Miłoszs Gedicht „Campo di Fiori“.
Vom 19. April an war ich täglich unweit der Ghettomauer unterwegs, in der Gegend der Bonifraterska und des Krasiński-Platzes. Ich traf Vertreter der jüdischen Organisationen. Ich beobachtete, was geschah – als Konspirant, aber auch als Warschauer und Augenzeuge. Und ich würde unterstreichen, was Jitzchak Zuckerman viele Jahre später über die Stimmung außerhalb des Ghettos geschrieben hat: Dass es viel Sympathie für die Juden gab, weil sie gegen die Deutschen kämpften und weil man von ihrem Mut und ihrer Kraft beeindruckt war. Dennoch, auch das schreibt Zuckerman, gab es auch „Leute, vor allem aus der Halbwelt, für die wir nur Ungeziefer waren, das aus den brennenden Häusern sprang. Doch das darf man nicht verallgemeinern. Ich selbst habe Polen gesehen, die weinten. Die dastanden und weinten.“ Zuckerman stand in derselben Menge an der Ghettomauer wie ich. Sein Bericht ist objektiv. Zu oft heißt es, es habe zwar anständige Leute gegeben, aber die Mehrheit habe gleichgültig oder unwillig auf das Ghetto geschaut. Es stimmt, dass an der Ghettomauer Gestapospitzel standen. Ich weiß es, denn ich habe sie gesehen. Ala Edelman hörte ansonsten rechtschaffene Leute schreckliche Dinge über die Juden sagen. Ich habe derlei nicht gehört.

Die Żegota hat den Juden geholfen, aber ich schäme mich für die Schmalzowniks und Spitzel. Für die Gleichgültigkeit und Verachtung der Menschen.
Ich schäme mich nicht, denn ich habe nichts getan, wofür ich mich schämen müsste.

Ich schäme mich für die Bürger meines Landes.
Meine Liebe, so gesehen müssten sich die Franzosen wegen Petain und Laval an die Brust schlagen. Kardinal Jean-Marie Lustiger hat mir einmal gesagt: „Meine jüdische Familie stammt aus Będzin, meine Mutter und meine Schwester wurden von der Vichy-Polizei verhaftet und an die Deutschen übergeben. Beide starben in Birkenau. Ich bin Erzbischof von Paris. Soll ich mich für den erzkatholischen Petain schämen? Seine Schuld auf mich nehmen?“ Sie können nicht für jedermann Verantwortung übernehmen.

Patriotismus ist das Gefühl von Gemeinschaft.
Aber ein Volk besteht nicht nur aus Engeln, sonst müsste niemand selig gesprochen, kanonisiert oder auf andere Weise ausgezeichnet werden.

Sie haben mit anderen gegen den Politologen und Historiker Krzysztof Jasiewicz von der Polnischen Akademie der Wissenschaften protestiert, der öffentlich behauptet, die Juden trügen selbst die Schuld am Holocaust.
Natürlich, das ist Antisemitismus, Herr Jasiewicz muss die Konsequenzen seiner Worte tragen. Zumal er den Professorentitel führt. Es kann nicht sein, dass jeder herausposaunt, was ihm gerade auf der Zunge liegt. Mit der Freiheit wächst die Verantwortung. Auch die Verantwortung für das Wort – das ist der Prüfstein der Demokratie. Leider ist dieser Antisemitismus nicht neu. Er ist die Norm, und es gibt Länder, etwa das schon erwähnte Frankreich, in denen er stärker ist als in Polen. Man muss die Menschen kontinuierlich bilden, erziehen, ihnen ein Beispiel geben. Eine andere Lösung sehe ich nicht.

Barbara Engelking, die sich als Historikerin mit der Geschichte der Juden befasst, ist dagegen, dass neben dem Museum für die Geschichte der Polnischen Juden auf dem Terrain des ehemaligen Ghettos ein Denkmal für die Gerechten – Polen, die Juden retteten – errichtet wird. Im Ghetto solle man sich auf das Gedenken an die Juden konzentrieren.
Das sehe ich anders. Die schlichte Wand mit den Namen der anerkannten Gerechten ist ein schönes Beispiel der Solidarität. Wem sollte sie schaden? Auch Professor Adam Rotfeld, der als Kind aus dem Holocaust gerettet wurde, ist der Meinung, die Polen, die während der Schoa ihren Nachbarn und Freunden, aber auch Fremden die Hand ausstreckten, hätten ein Denkmal verdient. Die Initiative zu diesem Denkmal ging ja auch von herausragenden Vertretern der jüdischen Gemeinde aus. Und wenn auf dem Terrain des Ghettos Platz ist, um an den anständigen Deutschen Willy Brandt zu erinnern, warum dann nicht auch an anständige Polen?

Kann man nach dem Ende der kommunistischen Geschichtsklitterung den Aufstand im Warschauer Ghetto nun endlich offen als Teil der polnischen Geschichte bezeichnen?
Gewiss. Ich habe das schon vor fünfzig Jahren in meinem Buch „Die 1859 Tage von Warschau“ getan. Von der Errichtung des Ghettos bis zur endgültigen Liquidierung beschreibe ich alle Ereignisse im jüdischen Viertel parallel zum Geschehen im arischen Teil. Denn es war eine Stadt. Und in diesem Sinne war es ein polnischer Aufstand. Ein gemeinsamer Kampf. Der Appell vom 23. April 1943, der um die Welt ging, beginnt mit den Worten: „Polen, Bürger, Freiheitskämpfer!“ Dann folgen eine Chronik der Ereignisse im Ghetto und die Worte vom „Kampf für unsere und eure Freiheit“ – geschrieben von Ignacy Samsonowicz vom Bund in den Räumen der Żegota in der Żurawia-Straße, wo er untergeschlüpft war. Am Warschauer Aufstand 1944 beteiligten die Juden sich ebenfalls im Geiste der polnischen Gemeinschaft. Zuckerman rief in der Aufstandspresse die jüdische Jugend zum Kampf auf: „Ein Jahr nach dem ruhmreichen Widerstand in den Ghettos und Arbeitslagern, nach der Verteidigung unseres Lebens und unserer Würde kämpfen wir heute gemeinsam mit dem ganzen polnischen Volk für die Freiheit. Niemand darf dabei abseits stehen. Für ein freies, souveränes, starkes und gerechtes Polen.“
Das Museum für die Geschichte der Polnischen Juden in Warschau ist ein Museum des Lebens, der gemeinsamen Geschichte von Polen und Juden als Teil der polnischen Geschichte. Der Kleinstädte mit fünfzig oder achtzig Prozent jüdischen Einwohnern. In den meisten Fällen lebten die Menschen dort einträchtig zusammen.
Stanisław Lem, Stanisław Jerzy Lec, Marian Hemar oder Julian Tuwim sind für mich normale polnische Intellektuelle. Sie wurden im Kult der polnischen Literatur erzogen wie etwa auch der Jurist Gideon Hausner, der mit seinem Vater, einem Diplomaten, als Vierzehnjähriger nach Palästina ging, und den ich Jahre später, als ich ihm am Rande des Eichmann-Prozesses begegnete, ein schönes Polnisch mit makellosem Lemberger sprechen hörte. Es bewegt mich, wenn ich höre, dass in der ersten Legislaturperiode der Knesset in Jerusalem die Abgeordneten fürchterlich stritten. Vierzig Prozent von ihnen kamen aus Polen, das war die polnische Streitsucht! Ich bin auch gerührt, wenn man mir sagt, dass in israelischen Häusern Polnisch gesprochen wird. Oder wenn Zbigniew Brzeziński daran erinnert, wie der konservative israelische Politiker Menachem Begin, das heißt Mietek Biegun aus Brest-Litowsk, in Camp David plötzlich vom Englischen ins Polnische wechselte.
Ich schreibe und spreche über diese Menschen, solange ich kann, weil ich mich ihnen verpflichtet fühle – zumal denen, die daran glaubten, dass es sich lohnt, anständig zu bleiben. Um jeden Preis. Nicht mehr und nicht weniger.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann
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