Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Staats- und Regierungschef*innen,
Anführer*innen der demokratischen Welt,
erlauben Sie mir, dass ich einige persönliche Überlegungen mit Ihnen teile. Vor 31 Jahren gab ich zum ersten Mal bei freien Wahlen meine Stimme ab und zum ersten Mal in der Geschichte Polens nach dem Zweiten Weltkrieg konnte meine Generation demokratisch einen Präsidenten wählen. Vor einem Jahr wurde ich als zweiter Präsident in unserer Geschichte wiedergewählt. Dies geschah mit einer Rekordbeteiligung und nach einem sehr ausgeglichenen Wahlkampf mit meinen Konkurrenten Rafał Trzaskowski, dem gegenwärtigen Stadtpräsidenten Warschaus.
Hätte ich vor nur wenigen Montan vor Ihnen gestanden, hätte ich mit Sicherheit – wie auch viele von Ihnen – von meinem Land berichtet, in dem für die Demokratie oftmals Blut vergossen werden musste.
Wahrscheinlich hätte ich auch über die Prioritäten unserer Generation von Anführern auf der ganzen Welt und unserer großen Aufgabe gesprochen. Diese besteht meiner Ansicht nach darin, die Polarisierung zu überwinden, welche in der Welt nach der Pandemie leider stark zunimmt – in einem Umfang, den wir heute noch nicht abschätzen können, und in nahezu allen Ländern. Mein Land bildet hier keine Ausnahme.
Ich hätte sicherlich auch gesagt, dass die Demokratie zu ihren Wurzeln zurückkehren muss – dass die Debatte wieder eine Debatte sein muss und kein Aufruf zur Zensur des Gegners. Die politische Auseinandersetzung kann nicht darin bestehen, die andere Seite zu entmenschlichen, denn auch der Gegner ist ein Mensch, der – aus verschiedenen Gründen – andere Ansichten hat als wir.
Jedoch ist in der Zwischenzeit etwas geschehen, was meinen Blick auf die Debatte über die Demokratie verändert hat. Vier Wochen nach meiner Wiederwahl, als über 20 Millionen meiner Landsleute, Polinnen und Polen, ihr Stimmrecht wahrgenommen hatten, wurden unsere Nachbarn, die Belarussinnen und Belarussen – wiederholt und auf brutale Art und Weise – jenes Rechts beraubt. Belarus liegt nur 180 Kilometer von Warschau entfernt. Dort verläuft die Grenze der Demokratie, möglicherweise sogar mehr: eine Kluft zwischen der Demokratie und ihrer Abwesenheit.
In Belarus gibt es keine Diskussionen über das Wahlsystem, über Polarisierungen, Minderheiten oder Ideologien. Dieser Luxus ist uns vorbehalten, den Menschen des Westens. Dort sorgt man sich hingegen darum, wie man 900 Personen aus dem Gefängnis befreien könnte, deren einziges Vergehen es war, sich nach freien Wahlen zu sehnen. Und darum, wie man einem seit 27 Jahren herrschenden Diktator seine Macht nehmen könnte, der alle Gesetze der Zivilisation gebrochen hat, Wahlen fälschte und Proteste gewaltsam niederschlug.
Warum spreche ich über Belarus? Weil Polen, das der Vorsehung für seine in den Achtzigerjahren erkämpfte Freiheit dankt, sich vor Jahren zu Folgendem verpflichtet hat: die Demokratien im Osten Europas zu unterstützen! Dies ist ein edler Auftrag, der aber auch seine Konsequenzen mit sich bringt. Wir befinden uns damit im Fadenkreuz des Kremls und seit Kurzem zahlen wir dafür in Form einer hybriden Operation an unserer Grenze, hervorgerufen von Aleksander Lukaschenko, einen hohen Preis.
Ich wurde um ein Bekenntnis gebeten, ich lege also ein feierliches Gelübde gegenüber unseren belarussischen Brüdern ab und möchte, dass es überall östlich von Polen Gehör findet: POLEN BLEIBT ein Förderer der Demokratie, weil ich der Ansicht bin, dass meine Tochter, die 1995 geboren wurde und keine Sekunde in einer Diktatur verbringen musste, und ihre belarussische Altersgenossin, die noch nie in ihrem Leben freie Wahlen erleben durfte, einander ebenbürtig sind und über die gleichen Rechte verfügen.
ICH ERKLÄRE als Präsident der Republik Polen, dass die 180.000 Belarussinnen und Belarussen, die in Polen Arbeit oder Schutz gefunden haben, von uns wie Brüder und herzlich willkommene Gäste behandelt werden.
ICH ERKLÄRE, dass Polen sich bewusst ist, dass die Bewahrung der Demokratie ihren Preis hat – beispielsweise den, dass heute unser Grenzschutz, unsere Polizei und unsere Armee die Ostgrenze der Europäischen Union vor der Rache eines Diktators beschützen müssen, vor Tyrannei und Menschenverachtung.
Dies sage ich nicht nur als Präsident der Republik Polen. Ich sage dies als Andrzej Duda, der im Jahr 2025 seine Präsidentschaft beenden und sein Amt einem bzw. einer demokratisch gewählten Nachfolger/in übergeben wird. Dann werde ich mit Stolz wieder ein normaler Staatsbürger sein, ein einfacher Wähler. Und ich glaube daran, dass auch die Belarussinnen und Belarussen eines Tages diese demokratische Normalität erleben werden – eine Normalität, in der die Präsident*innen wechseln, sie aber bleiben, als freie Bürger*innen, freie und freizügige Wähler*innen. Ich appelliere an alle Staaten, in dieser Angelegenheit solidarisch mit Belarus zu sein. Dies ist heute eine der wichtigsten Herausforderungen der demokratischen Welt.
Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten / Kanzlei des Präsidenten der Republik Polen
Übersetzung aus dem Polnischen: Rainer Mende (Polnisches Institut Berlin – Filiale Leipzig)