Warschau wurde 1944 zur Niederschlagung des polnischen Widerstands gegen die NS-Besatzung gezielt dem Erdboden gleichgemacht. Die polnische Hauptstadt wurde mit der
Absicht in Schutt und Asche gelegt, die jahrhundertealte Souveränität Polens zu vernichten.

Der Wiederaufbau des historischen Stadtkerns, der zu 85 % zerstört wurde, war Ergebnis der Entschlossenheit der Einwohner Warschaus und der landesweiten Unterstützung. Der Wiederaufbau der Altstadt in ihrer ursprünglichen urbanenund architektonischen Form war Ausdruck der Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die aufgewendet wurden, um das Fortbestehen eines der wichtigsten Zeugnisse der polnischen Kultur zu sichern. Die Stadt wurde als Symbol für das Wahlrecht und die Toleranz wiederaufgebaut – hier war am 3. Mai 1791 die erste demokratische Verfassung Europas verabschiedet worden. Der Wiederaufbau umfasste die ganzheitliche Wiederherstellung der Stadtplanung mitsamt dem Marktplatz der Altstadt, den Stadthäusern, Stadtmauern, dem Königsschloss und wichtiger religiöser Gebäude.

Durch den Wiederaufbau des historischen Warschauer Stadtkerns wurde ein wesentlicher Beitrag zur Änderung der Regeln zur Urbanisierung und Erhaltung von Städten in vielen europäischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet. Gleichzeitig spiegelt dieses Beispiel den Erfolg der Maßnahmen zur Denkmalerhaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider, die eine vollständige Rekonstruktion des komplexen städtischen Ensembles ermöglichten.

Der Wiederaufbau der Altstadt war ein schlüssiges Projekt, das 1945–1951 vom Büro für den Wiederaufbau der Hauptstadt geplant und konsequent umgesetzt wurde. Bei dem Projekt des Wiederaufbaus wurden jegliche noch erhaltenen, nicht beschädigten Strukturen, die zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert erbaut worden waren, sowie das spätmittelalterliche Netz aus Straßen, Plätzen und dem Hauptmarktplatz sowie die Stadtmauern verwendet. Dabei befolgte man zwei Leitkonzepte: erstens, wenn verfügbar, die Verwendung von glaubwürdigen Archivdokumenten, und zweitens das Bestreben, das Erscheinungsbild der Stadt aus dem späten 18. Jahrhundert wiederherzustellen. Letzteres gebot die Verfügbarkeit von detailgetreuen ikonographischen und historisch dokumentierenden Aufzeichnungen aus dieser Zeit.

Zusätzlich wurden Restaurationsinventare, die vor 1939 und nach 1944 erstellt worden waren, verwendet, abgesehen von wissenschaftlichen Kenntnissen und der Expertise von Kunsthistorikern, Architekten und Restauratoren. Das Archiv des Büros für den Wiederaufbau der Hauptstadt, das sowohl die Zerstörung der Stadt nach dem Krieg als auch den Wiederaufbau dokumentierte, wurde 2011 in das UNESCO-Weltdokumentenerbe eingetragen.

Der Wiederaufbau dauerte bis Mitte der 1960er-Jahre an. Der gesamte Prozess wurde mit dem Wiederaufbau des Warschauer Königsschlosses (das 1984 für Besucher geöffnet wurde)
abgeschlossen Der Wiederaufbau einzelner Gebäude und ihrer Umgebung als Wohngebäude mit öffentlichen Funktionen im Bereich Kultur und Wissenschaft sowie Dienstleistungen
brachte zahlreiche Herausforderungen mit sich, die von der Notwendigkeit geprägt waren, den gesellschaftlichen Normen und Anforderungen der damaligen Zeit zu entsprechen. Es wurde absichtlich auf den Wiederaufbau einiger Gebäude verzichtet, um die Verteidigungsmauern und das Stadtpanorama – von der Weichsel aus gesehen – hervorzuheben. Der Grundriss der Stadt wurde beibehalten, die Straßenfassaden wurdenin historische Baugrundstücke aufgeteilt. Die Objekte in diesen Vierteln wurden jedoch nicht wiederaufgebaut, wodurch offene Gemeinschaftsbereiche für die Anwohner geschaffen wurden. Man prüfte die Innenausstattung der Gebäude und Wohnungen und achtete dabei auf die Einhaltung der damals geltenden Standards. Dennoch wurden sowohl historische Raumpläne als auch die Inneneinrichtungen in vielen Gebäuden zum öffentlichen Gebrauch imitiert.

Ein besonders geschätztes Merkmal war die Dekoration der Außenfassaden, die von einer Gruppe bekannter Künstler vorgenommen wurde, die teilweise Gestaltungen aus der Zwischenkriegszeit nachempfanden. Unter der Verwendung traditioneller Techniken wurden vielfarbige Verzierungen einschl. Graffiti angebracht. Trotz der vorgenommenen Umwandlungen und Modifikationen bietet die Stätte gemeinsam mit dem Stadtpanorama von der Weichsel aus gesehen (das längst zu einem Symbol für Warschau geworden ist) ein zusammenhängendes Bild des ältesten Teils der Stadt.

Die Kombination der übrig gebliebenen Merkmale mit den rekonstruierten Teilen der Altstadt als Ergebnis des Programms zur Konservierung mündete in der Schaffung eines einzigartigen städtischen Raums in Bezug auf seine materielle (der älteste Teil der Stadt), funktionelle (als Wohnviertel und Schauplatz für wichtige historische, soziale und spirituelle Ereignisse) und symbolische Dimension (als unbesiegbare Stadt).

Quelle: UNESCO (offizielle Webseite: whc.unesco.org)
Übersetzung: Agata Biernacka