So lange das Coronavirus viele Konzerte verhindert, versorgen wir euch digital mit musikalischen Leckerbissen aus Polen.
Inhalt:
17 / Gromee
18 / Big Cyc
19 / Apollon Musagète Quartet
20 / HuRaban
21 / Taco Hemingway
22 / Warszawska Orkiestra Sentymentalna
23 / Pidżama Porno
24 / Ralph Kaminski
25 / Tulia
26 / Hania Rani
31 / The Dumplings
32 / PRO8L3M
33 / Skampararas
34 / Sidney Polak
35 / NeoKlez
36 / AbraDab
37 / Behemoth
38 / Mela Koteluk
39 / Sond’n’Grace
40 / Mikromusic
41 / Enchanted Hunters
42 / Południce
43 / Quebonafide
44 / Coals
45 / Niemoc
46 / MIN t
47 / Laboratorium Pieśni
48 / Daria Zawiałow
49 / Sarsa
50 / Kortez
51 / PlanBe
52 / RYSY
53 / Na Górze
54 / Psio Crew
55 / Akurat
56 / Myslovitz / Artur Rojek
57 / L.U.C.
58 / Łzy
59 / Daniel Bloom
60 / Warszawskie Combo Taneczne
61 / Riverside
62 / Gooral
63 / O.S.T.R.
64 / Kayah
65 / Closterkeller
66 / Maryla Rodowicz
67 / Sensum Quartet
68 / Oberschlesien
69 / BratHanki
70 / Smutne Piosenki
71 / Farben Lehre
72 / Karolina Czarnecka
73 / Kwartet Śląski
74 / Xxanaxx
75 / Coma
76 / Warsaw Village Band
77 / Kinga Preis
78 / Mery Spolsky
79 / Frele
80 / 2Tm2,3
81 / Jazzpospolita
82 / Same Suki
83 / Jakub Józef Orliński
84 / The Analogs
85 / Karolina Cicha
86 / Mamadou Diouf
87 / Village Kollektiv
88 / Pablopavo
89 / Mosaik
90 / Ørganek
91 / sanah
92 / Arka Noego
93 / Izabela Kałduńska
94 / Grzegorz Turnau
95 / Wspak
96 / Immortal Onion
97 / Czesław Mozil / Czesław Śpiewa
98 / Kazik Staszewski
99 / Bass Astral x Igo
100 / Kasia Nosowska
Nr. 1 / 16.03.2020
HAŃBA!
>> http://hanba1926.pl
Julia Marcell heißt eigentlich Julia Górniewicz und kommt aus Olsztyn, lebt aber schon seit langer Zeit in Deutschland. Das Geld für ihr erstes Album kratzte sie 2007 per Crowdfunding zusammen, um es von Moses Schneider (u.a. Tocotronic & Beatsteaks) produzieren lassen zu können. Inzwischen ist ihr fünftes Album „Skull Echo“ erschienen und zeigt erneut, dass man hörbaren Pop mit Tanzflächenappeal machen kann, ohne das Hirn auszuschalten oder an Persönlichkeit einzubüßen.
Nr. 3 / 18.03.2020
Die Band entstand offiziell 2001, auch wenn die Musiker schon vorher miteinander zu tun hatten. In knapp 20 Jahren Bandgeschichte entwickelten sie sich zu einem Klassiker, der generationsübergreifend alte und junge Hörer begeistert. Ihr bekanntester Song „Zanim pójdę“ (Bevor ich gehe, 2009) hat auf YouTube knapp 34 Millionen Views – das ist nur geringfügig weniger als Polen Einwohner hat! Aber lasst euch doch selbst mitreißen und treibt die Klickzahl noch etwas höher.
KWIAT JABŁONI
Kwiat Jabłoni (Apfelblüte), das sind die Geschwister Kasia und Jacek Sienkiewicz. Ihr musikalisches Abenteuer begann im fünfköpfigen (!) Hollow Quartet, auch wenn Musik bei ihnen zu Hause schon immer eine große Rolle spielte. Am Ende beschlossen sie, ihr eigenes, familiäres Folk-Pop-Projekt Kwiat Jabłoni auf die Beine zu stellen, in dem sie Klavier, Mandoline, Gesang und elektronische Sounds vereinigen. Im vergangenen Jahr erschien ihr Debüt „Niemożliwe“ (Unmöglich), auf dem ihr auch ihren Erfolgs-Song „Dziś późno pójdę spać“ (Heute gehe ich spät ins Bett) findet.
Nr. 5 / 20.03.2020
Michał Matczak, besser bekannt unter dem Namen @Mata, ist gerade mal schlanke 19 Jahre alt und startete im Dezember 2019 mit seinem hochkontroversen Hiphop-Track „Patointeligencja“ (Patho-Intelligenz) massiv durch. Darin widmet er sich diversen unsichtbaren Problemen der polnischen Jugendlichen aus besserem Hause wie Suchtkrankheiten und Teenie-Schwangerschaften. Einerseits ist das Stück hochemotional, andererseits auch sprachlich spannend – es spiegelt den Jugendslang voller Abkürzungen und Anglizismen und zeigt damit auch, dass Mata ein echter Wortkünstler ist.
Nr. 6 / 21.03.2020
SONBIRD
Nr. 7 / 22.03.2020
ICH TROJE
Nr. 8 / 23.03.2020
DAWID PODSIADŁO
Nr. 9 / 24.03.2020
LAO CHE
Nr. 10 / 25.03.2020
OREADA
Nr. 11 / 26.03.2020
ARMIA
Nr. 12 / 27.03.2020
ALICJA SZEMPLIŃSKA
https://www.youtube.com/watch?v=s_Y7mMka4SQ&feature=emb_title
Nr. 13 / 28.03.2020
PHEDORA
Nr. 14 / 29.03.2020
Krzysztof Penderecki, geboren 1933 in Dębica, nahm bereits früh Klavier- und Violinenunterricht, bevor er in Kraków Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte studierte. Seine Karriere als Komponist begann er in den Sechzigerjahren als Avantgardist, damals experimentierte er u.a. mit den Möglichkeiten elektroakustischer Klangerzeugung. Später wandte er sich Spätromantik und Expressionismus zu, was ihm weltweit große Popularität bescherte. Penderecki schrieb Vokal- und Instrumentalmusik für große und kleine Besetzungen, er verfasste auch fünf Opern – darunter eine für Kinder. Darüber hinaus war er 15 Jahre lang Rektor der Musikakademie Kraków. Immer wieder wurde er eingeladen, als Gast seine Werke zu dirigieren oder (z.B. für den Leipziger Thomanerchor) Auftragswerke zu verfassen. Seine Musik diente auch als Soundtrack für Filme, so für Andrzej Wajdas „Katyń“, Martin Scorseses „Shutter Island“ oder David Lynchs „Wild at Heart“. In seinem Heimatort Lusławice legte er nicht nur ein Arboretum mit mehreren Tausend Baumsorten an, sondern ließ auch ein hochmodernes Europäisches Musikzentrum bauen, das vor allem der Nachwuchsförderung dient. Der deutsche Dokumentarfilm „Wege durchs Labyrinth“ (2013) von Anna Schmidt porträtiert den Mann, der vom Guardian als „vermutlich größter lebender polnischer Komponist“ bezeichnet wurde. Penderecki starb am 29. März 2020.
Nr. 15 / 30.03.2020
PERCIVAL SCHUTTENBACH
Nr. 16 / 31.03.2020
Die dreiköpfige Band Domowe Melodie wurde vermutlich von ihrem großen Erfolg im Internet selbst überrumpelt. Dabei passen sie seit 2012 in keine Schublade so richtig: ein bisschen Folk, ein bisschen Alternative, ein bisschen Chanson, eine Prise Pop sowie ein Schuss Kabarett kennzeichnen ihre Lieder. Vor allem besticht das Auftreten der Band durch seine große Natürlichkeit – ganz ohne aufwändige Outfits, professionelle Clips und opulente Instrumentierungen eroberten sie die Herzen der Zuhörerschaft im Sturm. Leider ist die kurzweilige musikalische Spritztour seit 2018 schon wieder vorbei, aber ihre unprätentiösen Lieder bleiben uns erhalten.
Nr. 17 / 01.04.2020
GROMEE
Der Plus-Size-Brillen-Träger mit Hut namens Gromee, Jahrgang 1978, hat im Pass eigentlich den Namen Andrzej Gromala stehen. Der DJ, Produzent, Remixer und Gründer des Labels Kingztown Music ist seit 2011 im Bereich der elektronischen Musik unterwegs und hat sich der populären, eingängigen Spielart EDM (Electronic Dance Music) verschrieben. Seit 2016 ist der international bestens vernetzte Musiker bei Sony unter Vertrag. Da er 2018 den nationalen Vorausscheid zum Eurovision Song Contest gewinnen konnte, darf er sich stolz als „erster DJ in der Geschichte des ESC“ bezeichnen. Sein erstes und bisher einziges Album „Chapter One“ (2018) erreichte in Polen Goldstatus.
>> www.gromeeofficial.com
Nr. 18 / 02.04.2020
Wenn man nach einer Definition für „gesellschaftlich engagierten Fun-Rock in Polen“ sucht, ist man bei Big Cyc mit Sicherheit an der richtigen Adresse. Seit 1988 tobt sich der Sechser aus Łódź anfänglich im Punk, später zunehmend im poppigen Hard-/Rock und Ska aus und setzt dabei auf eingängige Songs, welche den Hörer nicht überfordern, sich dafür aber ohne Umwege ins Ohr bohren. Aber sie verleugnen ihre Wurzeln nicht und brachten z.B. zum 30. Jahrestag der Einführung des Kriegsrechts das Album „Zadzwońcie po milicję!“ (Ruft die Miliz!) mit Songs von zensierten Bands der Achtzigerjahre heraus. Auch für Happenings sind sie sich nicht zu schade. Die bissig-satirischen Texte des Bandleaders Krzysztof Skiba sind immer wieder kontrovers, weshalb die Gruppe nicht nur Freunde hat. Das Stück „Facet to świnia“ kommt euch bekannt vor? Kein Wunder, denn hier haben Big Cyc offensichtlich versucht, das Hitpotenzial von „Männer sind Schweine“ von Die Ärzte ins Polnische zu übersetzen. Die Übersetzung ist nicht wirklich originalgetreu, die Musik dafür sehr.
Nr. 19 / 03.04.2020
APOLLON MUSAGÈTE QUARTET
Nr. 20 / 04.04.2020
HURABAN
TACO HEMINGWAY
WARSZAWSKA ORKIESTRA SENTYMENTALNA
Nr. 23 / 07.04.2020
PIDŻAMA PORNO
Nr. 24 / 08.04.2020
RALPH KAMINSKI
TULIA
HANIA RANI
29 / 13.04.2020
31 / 15.04.2020
THE DUMPLINGS
32 / 16.04.2020
PRO8L3M – das sind der Rapper Oskar und der DJ Steez83, beide Jahrgang 1983, worauf auch der Name des Duos dezent hinweist. Ihre Stücke sind vollgepackt mit futuristischen Elementen, die sich in den Synthie-Sounds ebenso finden wie in den Texten. Ihr thematisches Einzugsgebiet ist aber erheblich größer. Manche Tracks bauen auf Samples aus der polnischen Unterhaltungsmusik der Siebziger auf, andere erinnern eher an Filmmusik. Überraschend ist in diesem Kontext das Stück „Krzyk“ (Schrei, 2014), welches die Geschichte von Ryszard Siwiec aufgreift – einem ehemaligen Kämpfer der Heimatarmee im Zweiten Weltkrieg, der sich 1968 in einem prall gefüllten Warschauer Stadion selbst verbrannte, um gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei zu protestieren.
33 / 17.04.2020
SKAMPARARAS
34 / 18.04.2020
SIDNEY POLAK
35 / 19.04.2020
NEOKLEZ
ABRADAB
Der junge Herr namens Marcin Marten, Baujahr 1978, ist erheblich bekannter unter dem Namen AbraDab. Frühen Ruhm brachte ihm Gruppe Kaliber 44, die er 1994 mit aus der Taufe hob. Seit deren Ende Anfang der Nullerjahre wandelt er erfolgreich auf Solopfaden und widmet sich – der Kübstlername lässt es vermuten – nicht nur dem reinen HipHop, sondern nimmt auch Elemente aus Reggae, Dub, Funk und Dancehall mit auf. Diverse Kooperationen mit Musikern wie Maciej Maleńczuk, Wojciech Waglewski, L.U.C. oder O.S.T.R. erweiterten sein musikalisches Spektrum. Sein Solo-Debüt „Czerwony album“ (2002) und im speziellen sein Hit „Rapowe ziarno 2 (Szyderap)“ hatte für die polnische Dancehall-Szene ähnlich durchschlagende Wirkung wie die frühen Werke von Seeed für die deutsche.
BEHEMOTH
Dass man in Polen auch mit ruppigen Klängen richtig groß werden kann, bewiesen schon TSA und Kat in den Achtzigern oder Vader in den Neunzigern. Und jetzt? Sind die unangefochtenen Marktführer und größter Exportschlager in diesem Gebiet zweifelsohne die Düsterheimer von Behemoth. Was sich anfangs in den frühen Neunzigern noch recht dilettantisch und teilweise sogar auf Polnisch am Black Metal norwegischer Prägung versuchte, wuchs langsam und kontinuierlich zu einer Death- & Dark-Metal-Truppe heran, die inzwischen Fans auf der ganzen Welt versammelt und auf ihren Alben verlässlich Qualitätsware abliefert. Vor allem live aber sucht die dunkle Atmosphäre, welche von der Bühne kriecht, ihresgleichen. Sänger und Bandleader Nergal (bürgerlich Adam Darski) gehört außerdem in Polen sogar zu den Mainstream-Celebrities, was nicht zuletzt an einer kurzen Beziehung mit dem Pop-Sternchen Doda und einer überstandenen Leukämie liegt.
38 / 22.04.2020
MELA KOTELUK
39 / 23.04.2020
SOUND’N’GRACE
40 / 24.04.2020
MIKROMUSIC
41 / 25.04.2020
ENCHANTED HUNTERS
42 / 26.04.2020
POŁUDNICE
43 / 27.04.2020
QUEBONAFIDE
44 / 28.04.2020
COALS
45 / 29.04.2020
NIEMOC
46 / 30.04.2020
MIN T
LABORATORIUM PIEŚNI
Laboratorium Pieśni aus der nordpolnischen „Dreistadt“ Gdańsk/Sopot/Gdynia sind eine Ausnahmeerscheinung. Grob kann man die singenden Frauen in die Schublade „Ethno/World Music/Roots“ stecken, denn sie arrangieren traditionelle mehrstimmige Gesänge neu, die sie vor allem in der slawischen und balkanischen Musiktradition finden – in der polnischen, ukrainischen, bulgarischen, belarussischen, serbischen, albanischen und bosnischen. Hinzu kommen georgische, skandinavische und okzitanische Melodien. Diese „Lieder der Welt“ führen sie sowohl a cappella als auch in Begleitung von schamanischem Schlagwerk und anderen volkstümlichen Instrumenten auf und schaffen in ihren Arrangements auch Raum für Improvisation. Dabei lassen sie sich von Klängen der Natur inspirieren – sehr ungezähmt, sehr weiblich. So findet ein Hauch slawischer Mystik, Geistlichkeit und Metaphysik in die Musik von Laboratorium Pieśni. Das versteht man intuitiv nicht nur in Polen, sondern zunehmend auch im Ausland – Klänge aus der ganzen Welt für die ganze Welt!
48 / 02.05.2020
DARIA ZAWIAŁOW
49 / 03.05.2020
SARSA
50 / 04.05.2020
KORTEZ
51 / 06.05.2020
PLANBE
52 / 09.05.2020
RYSY
NA GÓRZE
Na Górze aus Rzadkowo wären vermutlich eine Rockband unter vielen, wenn es ihnen einzig und allein um Musik ginge. Aber die Gruppe hat das besondere Etwas, das sie aus der Masse heraushebt – sie engagiert sich bereits seit 1994 für ein solidarisches Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung, und das nicht nur in der Theorie. Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen spielen und singen auf inzwischen sechs Alben (zuletzt „Szczerość“ [Ehrlichkeit], 2018) als integraler Bestandteil der Band mit und das Anderssein schlägt sich immer wieder auch in den Texten nieder. Aber das Projekt ist weder eine Therapiesitzung noch eine Lehrstunde mit erhobenem Zeigefinger. Vor allem soll das gemeinsame Krachmachen Spaß bereiten – den Musikern und den Zuhörern. Den Spaß hatten auch Bands und Künstler wie Luxtorpeda, Arka Noego, Grabaż, Czesław Mozil oder 2TM2,3, mit denen Na Górze gemeinsam auftraten.
54 / 13.05.2020
PSIO CREW
MYSLOVITZ / ARTUR ROJEK
57 / 20.05.2020
L.U.C.
58 / 23.05.2020
Es kann ja nicht immer intellektuell zugehen, manchmal braucht es einfach große Gefühle, ausufernde Emotionen und gerne auch eine gesunde Dosis Pathos. Łzy aus Pszów haben die Musik mit Sicherheit nicht neu erfunden, sich aber mit ihrem eingängigen und massentauglichen Rock seit 1996 viele Freunde gemacht – sicher auch, weil ihre melancholisch angehauchten Stücke Enkel und Oma gleichzeitig erreichen. Der Erfolg kam fast über Nacht – nach einem mäßig erfolgreichen Debüt kletterte das zweite Album „W związku z samotnością“ (Im Zusammenhang mit der Einsamkeit, 2000) mit diversen Single-Auskopplungen (darunter der Klassiker „Agnieszka“) rasant in die Charts, wo sich die Band eine Dekade lang konstant einnistete. Erst der Weggang der charismatischen Sängerin Anna Wyszkoni (die daraufhin eine Solo-Karriere startete) ließ das Publikumsinteresse deutlich abflauen. Trotzdem machte die Gruppe mit Sara Chmiel am Mikrofon weiter, bis sie 2018 vorerst eine Pause einlegte. Von ihren acht Studioalben haben zwei Platinstatus erreicht.
>> www.lzy.pl
59 / 25.05.2020
DANIEL BLOOM
Daniel Bloom heißt eigentlich Daniel Tomasz Borcuch, wurde 1971 in Kwidzyn geboren und ist der jüngere Bruder des Regisseurs Jacek Borcuch. Er ist nicht monothematisch unterwegs, denn er hat neben einer Klavier-Ausbildung auch ein Archäologie-Studium in Toruń absolviert. Seine Musik klingt aber sehr zeitgenössisch und wird schon seit den Neunzigern vor allem von Regisseuren gern genutzt – Blooms Musik ist u.a. im Soundtrack des Punk-Films „Alles was ich liebe / Wszystko co kocham“ (2009) zu hören. Für seinen Bruder steuerte er zusammen mit Leszek Możdżder die Tonspuren zu „Tulipany“ (2004) und „Dolce fine giornata / Słodki koniec dnia“ (2019) bei. Manchmal macht er aber auch Musik ohne Bilder und holt sich dann gerne Unterstützung dazu – Mela Koteluk, Gaba Kulka, Tomek Makowiecki, Iwona Skwarek und Marsija hat er ins Studio gelotst, um 2015 endlich sein erstes eigenes Album „Lovely Fear“ (2015) mit eingängigem Elektropop einzuspielen. Erstaunlicherweise blieb er im Ausland bisher weitgehend unentdeckt, obwohl seine Musik sich geografisch schwer festlegen lässt.
>> www.facebook.com/DanielBloomofficial
60 / 27.05.2020
WARSZAWSKIE COMBO TANECZNE
Egal ob man es jetzt Retro, Vintage oder Nostalgie nennt – Dinge von früher sind wieder schwer in Mode und das gilt im Speziellen für Klamotten, Lifestyle und Musik, wie sie vor hundert Jahren in den Metropolen Europas üblich waren. Warschau war damals zweifellos eines der Zentren von Kultur, Film, Cabaret und Musik. Folglich musste die Warszawskie Combo Taneczne nicht lange suchen, um Material für ihre akustischen Einspielungen zu finden, als sie sich 2009 in der alten und neuen Hauptstadt zusammenfand, um das Liedgut aus den Ballsälen der Zwanziger- und Dreißigerjahre mit viel Liebe zum Detail (was u.a. den archaischen Gesangsstil betrifft) zu pflegen. Da darf fröhlich die Säge singen, die Mandoline klimpern und das Banjo rasseln. Das scheint Potenzial zu haben, denn ihre drei Alben gaben die sieben Damen und Herren alle beim Major-Label Warner Music Poland heraus. Bandleader Jan Młynarski blieb übrigens gar nichts anderes übrig, als Musiker zu werden – sein Vater ist der legendäre Liedermacher Wojciech Młynarski.
>> www.facebook.com/WarszawskieComboTaneczne
61 / 30.05.2020
RIVERSIDE
Progressive Rock/Metal ist nicht unbedingt die Stilrichtung, mit der man reich und berühmt wird. Aber vielleicht kann man sich mit verfrickeltem Gitarrengeschrammel und Acht-Minuten-Tracks ja dafür unsterblich machen? Schließlich werden in polnischen Fußgängerzonen permanent Stücke von Pink Floyd gespielt, es gibt also einen solide Fanbasis. Und mehr noch: Die Szene ist international bestens vernetzt, so dass eine Band wie Riverside inzwischen viel öfter oft in Clubs und auf Festivalbühnen in Westeuropa und Nordamerika spielt als zu Hause. Überhaupt ist die Truppe enorm bühnenerfahren und bringt es auf einige Dutzend Gigs pro Jahr. Sieben Alben hat sie seit 2003 bei Mystic Production herausgebracht (zuletzt „Wasteland“, 2018), die ab 2010 auch im Ausland sukzessive in die Charts kletterten. Liebhaber von Tool, Opeth oder Porcupine Tree sollten also unbedingt mal ein Ohr riskieren. Oder auch zwei. Am besten mit Kopfhörern.
>> riversideband.pl/en
62 / 01.06.2020
GOORAL
Wenn man die Abkürzung „DJ“ hört, sind die Assoziationen klar – Loops, Clubs, Bass, Endlos-Mixe, Beats, Schallplatten, Breaks. Aber Folklore? Geigen? Historische Trachten? Volkstänze? Selbstverständlich – zumindest, wenn man Gooral heißt und das Genre „Ethno Elektro“ in Polen quasi im Alleingang aus der Taufe gehoben hat. Bei ihm sind Gesang und Geigen aus der Góralen-Musiktradition der Karpaten die Basis, auf der er krachige Clubsounds kreiert, die Respekt vor ihren historischen Vorbildern zeigen und trotzdem hundertprozentig als Spaßmusik taugen. Und vor allem: Man kann dazu tanzen, tanzen, tanzen! Fünf Alben (u.a. mit Psio Crew) hat der Lockenkopf inzwischen auf dem Konto, Auftritte in Japan, Kanada oder Aserbaidschan, diverse Preise und sogar eine gemeinsame DVD mit dem renommierten Ensemble Mazowsze.
>> www.gooral.net
63 / 03.06.2020
O.S.T.R.
O.S.T.R., 1992 geboren als Adam Andrzej Ostrowski in Łódź, ist tief in der polnischen Hiphop-Szene verwurzelt und entspricht trotzdem kaum dem Klischee des klassischen Straßenrappers. Das beginnt schon damit, dass er nicht aus einem Ghetto-Haushalt stammt, sondern als Sohn einer Musik-Professorin eine Hochschulausbildung im Fach Violine in der Tasche hat. Das erklärt auch, warum er stets offen für andere Musikstile ist und keine Scheu beispielsweise vor jazzigen Klängen hat. Darüber hinaus gilt er als einer der begabtesten Freestyler im Land. Außerdem kennt er das Business von beiden Seiten des Mischpults, weil er auch als Produzent, Komponist und Toningenieur zugange ist. Nach ersten Schritten in diversen Gruppen tritt er seit 2000 solo auf und hat seitdem in diversen Kooperationen satte 18 Veröffentlichungen in die Regale gewuchtet (zuletzt „Gniew“ [Zorn], 2020). Direkt daneben stehen etliche Auszeichnungen, gekrönt von der Ehrenbürgerschaft der Stadt Łódź im Jahr 2017. Das man das nicht mit Geprolle schafft, ist selbstverständlich – O.S.T.R. schreckt nicht vor ernsthaften Themen zurück und verarbeitete beispielsweise autobiografisch eine schwere Lungen-OP in seinem Album „Życie po śmierci“ (Leben nach dem Tod, 2016).
>> ostr.bio
64 / 06.06.2020
KAYAH
Ende der Neunzigerjahre war es in Polen nahezu unmöglich, Kayah (eigentlich Katarzyna Magda Rooijens, geboren 1967 in Warschau) aus dem Weg zu gehen. In jeder Disco, jeder Kneipe und jedem Radiosender wurde ihr Megahit „Prawy do lewego“ vom Album „Kayah i Bregović“ hoch- und runtergespielt, auf dem sie zusammen mit dem bosnischen Musiker und Komponisten Goran Bregović wie selbstverständlich Balkanrhythmen mit polnischer Folklore und Pop vermischte und daraus ein musikalisches Gebräu anrührte, zu dem man einfach tanzen musste. Noch heute ist eine Hochzeitsfeier ohne diesen Song kaum vorstellbar. Auch wenn Kayah diesen riesigen Erfolg später nicht wiederholen konnte, enterte sie auch mit ihren poppigen Soloalben und ambitionierten Kooperationen u.a. mit Cesária Évora oder dem Royal String Quartet regelmäßig in den Charts und räumte verlässlich Preise ab. Wenn sie nicht gerade am Mikrofon steht, ist sie eine äußert erfolgreiche Produzentin, die mit ihrem Label Kayax so illustre Künstler wie Envee, Maria Peszek, Zakopower oder die Warsaw Village Band unter ihre Fittiche genommen und zu Stars gemacht hat.
>> www.kayah.pl
65 / 08.06.2020
CLOSTERKELLER
Gothic Rock ist nicht unbedingt der größte Exportschlager Polens, was aber nicht darüber hinweg täuschen soll, dass es schon lange eine große und sehr lebendige Szene mit ihren eigenen Clubs, Festivals und Bands gibt. Diese Szene wäre ohne Closterkeller eigentlich nicht denkbar. Bereits 1988 gründete sich die Band in Warschau und ist seitdem ununterbrochen aktiv. Dreh- und Angelpunkt ist die charismatische Sängerin Ania Orthodox, das letzte verbliebene Gründungsmitglied, die nicht nur mit ihrer unverwechselbaren Stimme für Wiedererkennungswert sorgt, sondern auch mit ihren Texten das Genre der „gesungenen Poesie“ um eine dunkle Facette erweitert. In über 30 Jahren hat die Band diverse Spielarten des dunklen Genres von Elektronik über balladesken Pop bis zu metallischen Klängen durchprobiert und über 25 Musiker durch die Besetzung geschleust. Konstant sind hingegen die Titel ihrer Alben, die grundsätzlich nach Farben benannt sind – vom Debüt „Purple“ (1990) über die Erfolgsplatte „Violet“ (1993) bis zum letzten Longplayer „Viridian“ (2017). Auch wenn sie es nie in den Mainstream geschafft hat, besitzt die Band doch eine solide Fanbasis und es wäre nicht überraschend, wenn sie auch noch in 20 Jahren durch die Clubs touren würde. Ausreichend Farben für die Albentitel wären ja noch übrig.
>> www.anja.pl
66 / 10.06.2020
MARYLA RODOWICZ
Es ist schwer, für ein Phänomen wie MarylaRodowicz (geb. 1945 in Zielona Góra) die passenden Superlative zu finden. Kaum jemand hat die polnische Musik in den letzten 50 Jahren so kontinuierlich geprägt wie die Frau mit der starken Stimme, die mit Chansons groß wurde, aber auch vor Rock und Clubsounds nicht zurückschreckt und deshalb alle Generationen von Enkel bis Uroma erreicht. Die passionierte Leichtathletin stand 1962 erstmals auf der Bühne und tingelte durch diverse Festivals und Wettbewerbe, bei denen sie ab den späten Sechzigern kontinuierlich erste Preise abräumte und sich zunehmend eine Ruf als hervorragende Interpretin erspielte. Ihren Erfolg verdankt sie neben ihrem extravaganten Kleidungsstil und ihrer unverwechselbaren Stimme, die sich zwischen zarter Ballade und rauem Rock in diversen Genres wohlfühlt, auch ihren herausragenden Songwritern wie Agnieszka Osiecka, die ihr unsterbliche Klassiker ins Repertoire schrieben. Seit ihrem Debüt „Żyj mój świecie“ (Lebe, meine Welt; 1970) hat Rodowicz in erstaunlicher Regelmäßigkeit ca. alle zwei Jahre neue Alben veröffentlicht, auch der politische Umbruch 1989 hinterließ in ihrer Diskografie kaum sichtbare Spuren. Insgesamt hat sie bis heute 22 Studienalben veröffentlicht – die weiteren Veröffentlichungen inkl. Singles, Compilations, Livemitschnitten und Soundtracks sprengen den Rahmen des Zählbaren. (Ost-)Deutschen Zuhörern ist sie spätestens seit 1973 keine Unbekannte mehr, als sie beim DDR-Label Amiga ein komplettes Album auf Deutsch (!) herausgab, das 40 Jahre später noch einmal auf CD erschien. Ihre großen Hits wie „Małgośka“ (dt. „Maria“), „Niech żyje bal“ (Es lebe der Ball) oder „Damą być“ (dt. „‘ne Dame sein“) gehören inzwischen in Polen zum Allgemeingut und werden auch dann noch lange gespielt, gesungen und gehört werden, wenn Rodowicz längst in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist. Woran sie im Moment noch keinen Gedanken verschwendet.
>> www.marylarodowicz.pl
67 / 13.06.2020
SENSUM QUARTET
Heute geht’s direkt in den Underground – aber wir stellen euch weder verfrickelte Minimal-Elektronik noch wüsten Black Metal vor, sondern ein Streichquartett. Streichquartett? Gibt es die nicht wie Sand am Meer, auch in Polen? Ja, aber nur wenige bestehen ausschließlich aus Frauen. Noch weniger aus sehr jungen Frauen. Und die allerwenigsten spielen nicht einfach das klassische Repertoire für diese Ensembleform, sondern verewigen in ihren Arrangements die musikalische Kultur ihrer Region – so wie das Sensum Quartet aus dem nordostpolnischen Białystok. Maria Nowak (1. Violine), Agnieszka Wenda (2. Violine), Magdalena Szczebiot-Murawska (Viola) und Katarzyna Winkiewicz (Cello) grasen seit 2015 gemeinsam ihre Heimat Podlachien nach überlieferten Melodien ab und fertigen aus ihnen einfühlsame, griffige Instrumental-Arrangements, welche die nicht verblassende Aktualität der Volksweisen erkennen lassen. Mehrstimmige orthodoxe Gesänge und Festmusik der ethnischen Minderheiten aus den Dörfern an der belarussischen Grenze erfahren so eine Frischzellenkur auf hohem Niveau. Nachhören kann man das auf dem Debüt-Minialbum „Echo“ (2017), das Lust auf mehr macht.
>> www.facebook.com/SensumQuartet
>> www.youtube.com/watch?v=HWb4WkaQ2CA
68 / 15.06.2020
OBERSCHLESIEN
Die Idee liegt so dermaßen auf der Hand, dass irgendwann jemand darauf kommen musste: der rauen, dicht besiedelten, proletarisch geprägten, von Schwerindustrie und Bergbau zernarbten Landschaft Oberschlesiens einen adäquaten Soundtrack zu verpassen. Dass der nicht auf sanften Pfoten daher kommt, versteht sich von selbst. Folglich spielen Oberschlesien aus Piekary Śląskie seit 2012 keine zarten Balladen, sondern ruppigen Industrial Metal. Dass sich die Herren um Schlagzeuger Marcel Różanka und Sänger Michał Stawiński nicht „(Górny) Śląsk“ nennen, ist in zweierlei Hinsicht schlüssig: Die Region hat u.a. deutsche Wurzeln, genau wie die Musik, welche ihre Bezüge zu Die Krupps und vor allem Rammstein (auch in ihren optischen SM-Anleihen) nicht versteckt. Dieser multiethnische Stahl aus dem metallischen Hochofen mit viel Pyro-Begleitung bekommt noch eine linguistische Legierung, indem die Texte konsequent nicht auf Polnisch, sondern im schlesischen Dialekt abgefasst sind. Bei aller plakativ männlichen (und damit auch subtil sexistischen) Imagepflege erteilen uns die sechs Musiker also auf ihren Alben „I“ (2013), „II“ (2015) und „III“ (2019) auch eine krachende Lektion in Geschichte und Kultur ihrer „hajmat“. Und bedienen sich wie in „Król Olch“ (Der Erlkönig) auch noch am klassischen Literaturkanon der deutschen Nachbarn.
>> www.zespoloberschlesien.pl
>> www.youtube.com/watch?v=KPJPJzpk_QQ
69 / 17.06.2020
BRAThANKI
Die gibt’s noch? Aber hallo! Als sie vor 20 Jahren mit ihrem Debütalbum „Ano!“ die polnischen Charts stürmten, waren Brathanki im Handumdrehen berühmt und eine ausgelassene Feier ohne ihre Megahits „Czerwone korale“ (Rote Korallen) und „Gdzie ten, który powie mi“ (Wo ist der, der es mir sagt) schlicht nicht vorstellbar. Das Erfolgsrezept der Gruppe um den Akkordeonisten Janusz Mus war so durchschlagend wie simpel: Wie auf den zeitgleich durch die Decke gehenden Alben von Kayah und Golec uOrkiestra verband sie Instrumentarium und Melodien der slawischen Folklore mit Elementen aus Rock und Pop, die sie für die breite Masse zugänglich machten und unweigerlich ins Tanzbein gingen. Markenzeichen war die Stimme der Sängerin Halina Mlynkova, die mit ihrer Herkunft aus der polnisch-tschechischen Grenzregion noch einen böhmischen Aspekt einbrachte, der sich auch im Albumtitel (tschechisch für „ja“) niederschlug. Mit dem Song „W kinie w Lublinie“ (Im Kino in Lublin) von der Nachfolgeplatte „Patataj“ (2002) landete die Gruppe noch einmal ganz oben in den Hitlisten, dann war der Folk-Boom vorbei und man musste kleinere Brötchen backen. Aber die Band machte weiter, spielte drei weitere Alben ein und wechselte dabei viermal die Sängerin. Seit 2009 steht Agnieszka Dyk am Mikrofon, die während des Lockdowns auch die aktuelle Single „Kantylena konwaliowa“ (Maiglöckchen-Kantilene) einsang. Das Rezept ist gleich geblieben: Folk + Gitarre + eingängiger Text = Fetenhit. Also: Es gibt sie noch. Und wie!
>> www.brathanki.com.pl
>> http://www.youtube.com/watch?v=OyOgz84Jnuk
70 / 20.06.2020
SMUTNE PIOSENKI
Wenn irgendwo der Name Programm ist, dann mit Sicherheit bei Smutne Piosenki (Traurige Lieder) aus Poznań. Die vier jungen Leute machen seit 2015 mit einer sparsamen Instrumentierung aus Tasten, Bass und Schlagzeug das Gegenteil von Partymucke, sind naturgemäß tendenziell etwas langsamer unterwegs und würzen ihren balladesken Zeitlupen-Pop mit Versatzstücken aus Chanson, Funk und Jazz. Geprägt und getragen werden die atmosphärisch dichten Kompositionen der Bassistin und Bandgründerin Paulina Frąckowiak durch die markante Stimme der Sängerin Iza Polit, deren kräftiges und zugleich fragiles Timbre immer wieder massiv an Natalia Grosiak von Mikromusic erinnert, die stilistisch gar nicht so weit entfernt sind. Die deutlich dunklere Stimmfärbung Polits sorgt hier jedoch dafür, dass der Bandname kein leeres Versprechen bleibt. Nachhören kann man das auf ihrem Debütalbum „Dziki ogród“ (Wilder Garten, 2018). Wenn man Glück hat, kann man die Gruppe live noch ergänzt um ein Streichquartett und einen DJ erleben.
>> www.facebook.com/smutne.piosenki.poznan
71 / 22.06.2020
FARBEN LEHRE
Der Bandname “Farben Lehre” klingt in deutschen Ohren zwar grammatisch falsch, aber immerhin kopflastig und ambitioniert. Aber Pustekuchen: Unter diesem Namen spielt sich schon seit 1986 eine (anfangs Schüler-)Punkband aus Płock um Gründer und Sänger Wojciech Wojda und seinen Bruder Konrad an der Gitarre die Finger wund. Der Name bezieht sich übrigens weder auf Goethe noch auf das Bauhaus, sondern auf ein Gedicht von Julian Tuwim. Ihre erste Platte erschien erst 1991 – da waren sie schon u.a. durch das legendäre Musikfestival in Jarocin bekannt. Ihren Mix aus fröhlichem Punk, flottem Ska und entspanntem Reggae, der nie so richtig erwachsen klingen will, haben sie auf mittlerweile satten 15 Studioalben verewigt. Hinzu kommen vier Livealben, sechs Compilations und nicht zu vergessen Hunderte Konzerte, mit denen sie unermüdlich ihre Fans im In- und – trotz konsequent polnischer Texte – auch im Ausland beglücken. Nicht zufällig wurden sie von Die Toten Hosen eingeladen, 2004 als Vorband auf Tour mitzukommen. Auch mit The Exploited, Dritte Wahl oder New Model Army standen sie schon auf der Bühne. Zwischen 2004 und 2011 organisierte die Band jährlich die „Punky Reggae Live“-Tour, zu der sie stilistische verwandte Gruppen wie Akurat, Zabili mi żółwia, Habakuk, Koniec Świata, Leniwiec oder Cała Góra Barwinków mitnahmen. Große Charthits konnten Farben Lehre zwar nie landen, aber Klassiker wie „Matura 2000“ (Abi) oder „Spodnie z GS-u“ (GS-Hosen) kennen dank der großen Spielwut der Gruppe nicht nur eingefleischte Punk-Fans.
>> www.farbenlehre.plocman.pl
72 / 24.06.2020
KAROLINA CZARNECKA
Die Zuschauer des Festivals für Theaterlieder 2014 in Wrocław dürften sich kräftig die Augen gerieben haben: Da stand ein bis dahin unbekanntes zierliches Mädchen mit leichtem Silberblick namens Karolina Czarnecka (geb. 1989 in Sokółka) am Mikrofon und sang mitreißend ein nur auf den ersten Blick unschuldiges Liedchen – ein Cover des Anti-Drogen-Songs „Heroin and Cocain“ von den Tiger Lillies, das unter dem Titel „Hera koka hasz LSD“ viral ging und auf YouTube in kürzester Zeit 30 Millionen Klicks einsammelte. Per Crowdfunding war im Handumdrehen auch ein Videoclip fertig gebaut und die Karriere von Karolina Czarnecka nahm Fahrt auf. Ihr Vorteil: Sie kann nicht nur singen, sondern auch schauspielern. Sie hat sowohl Puppentheater in Białystok als auch Schauspiel in Warschau studiert, nach wie vor ist sie in Theatergruppen aktiv. Auf Platte kann man sie seit ihrer EP „Córka“ (Tochter, 2014) hören, es folgten drei Alben – zuletzt „Cud“ (Wunder, 2019 auf Kayax). Stilistisch fühlt sich Czarnecka im Sprechgesang mit ordentlich Bass, Bass, Bass wohl – Dub, Dancehall und HipHop sind ihre liebsten Spielwiesen. In ruhigen Momenten darf es auch mal balladesker Pop oder der gute alte Chanson sein, Czarneckas flexible Stimme ist vielen Genres gewachsen. Hinzu kommen ein expressiver Kleidungsstil und ein sicheres Gespür für originelle visuelle Einfälle, das man in ihren zahlreichen Videoclips studieren kann.
>> karolinaczarnecka.pl
73 / 27.06.2020
KWARTET ŚLĄSKI / SILESIAN STRING QUARTET
Das Streichquartett aus Katowice gehört mit Sicherheit zu den etabliertesten seiner Zunft in Polen, denn bereits seit 1978 treten die Absolventen der dortigen Musikakademie „Karol Szymanowski“ zusammen auf. Die Besetzung des Kwartet Śląski hat sich seitdem nicht geändert: Szymon Krzeszowiec (Violine), Arkadiusz Kubica (Violine), Łukasz Syrnicki (Bratsche) und Piotr Janosik (Cello) pflegen gemeinsam die Literatur der Kammermusik und haben sich dabei speziell den Kompositionen des 20. und 21. Jh. verschrieben. Damit pflegen sie nicht nur das Erbe der Neuen Musik, sondern geben ihr auch Starthilfe – über 100 Uraufführungen haben sie auf dem Konto und nicht wenige dieser Werke wurden speziell für sie verfasst. Seit 1992 kann man Auszüge ihres über 400 Werke umfassenden Repertoires auch außerhalb der renommierten Konzertsäle der Welt nachverfolgen – auf über 40 Alben sind sie zu hören, darunter mit Einspielungen von Aleksander Tansman, Grażyna Bacewicz, Henryk Mikołaj Górecki, Aleksander Lasoń, Andrzej Panufnik, Krzysztof Penderecki und Witold Lutosławski. Aber auch populäre Musik ist ihnen nicht fremd, beispielsweise adaptierten sie unter dem Titel „Republique“ (2005) Stücke der Rockband Republika für ihre Besetzung.
>> www.silesian-quartet.com
74 / 29.06.2020
XXANAXX
Sommer, Sonne, Xxanaxx! Seit 2012 basteln unter diesem Namen Klaudia Szafrańska und Michał Wasilewski mit zwei Mitmusikern in Warschau an elektronischen Klängen plus Gesang herum und haben damit großen Erfolg. Ihr Name bezieht sich auf ein Medikament gegen Angststörungen und in der Tat sind ihre House-lastigen Klänge auf den drei Alben (zuletzt „Gradient“, 2018) ein gutes Mittelchen zum Runterkommen. Die Mixtur aus sanftem Synth-Pop und technoiden Rhythmen mit sanften Hiphop-Anklängen ist der ideale Soundtrack zum Sommer und stilistisch – wie das Video zu „Story“ deutlich illustriert – eher in Berlin als an der Weichsel zu Hause. Aber auch in Białystok oder Rzeszów liefern Xxanaxx den idealen sanft prickelnden Chill-Out-Soundtrack zum Cocktail auf der Hängematte im urbanen Dachgarten.
>> www.facebook.com/xxanaxxmusic
75 / 01.07.2020
COMA
Kann man mit anspruchsvollem, ruppigem Rock und melancholischen Neunzigerjahre-Vibes in den Charts nach oben klettern? Kann man mit einer Single Erfolg haben, auch wenn der Song über fünf Minuten dauert und erst nach vier Minuten so richtig zum Thema kommt? Man kann, wenn man Coma heißt und sowohl mit Piotr Rogucki einen begnadeten Sänger als auch beim Songwriting ein untrügliches Gespür für atmosphärische Dichte, zündende Dramaturgie und Ohrwurmmelodien hat. Das trifft auf die sechs Herren aus Łódź zu, die sich 1998 um den Gitarristen Dominik Witczak versammelten, um laute, emotionale und gerne auch mal pathetische Musik zu machen. Fünf Jahre lang suchte man seinen eigenen Stil und den Weg zum Zuhörer, bis 2003 mit BMG Poland ein Majorlabel die Veröffentlichung des ersten Longplayers ermöglichte. So richtig ging die Post aber erst mit dem Zweitling „Zaprzepaszczone siły wielkiej armii świętych znaków“ (2006, Zerstörerische Kräfte der großen Armee heiliger Zeichen) ab, der an die Spitze der Album-Charts kletterte. Die Nachfolge-Alben erreichten bereits Platin-Status und belieferten trotz sperrigem Material die Single-Charts regelmäßig mit Nummer-1-Hits. Inzwischen stehen sieben Studioalben im Regal, flankiert von zwei englischsprachigen Platten und drei Livealben. Mit „Don’t Set Your Dogs on Me“ hat das deutsche Label earMusic sogar ein Album in den hiesigen Vertrieb gebracht. Das war’s das dann leider aber auch schon, denn im Herbst 2019 verabschiedete sich die Band mit einer letzten Tour namens „Game Over“. Aber wie so oft wandelt der Sänger längst auf Solopfaden weiter und hat im Februar mit „Ostatni bastion romantyzmu“ (Die letzte Bastion der Romantik) bereits sein viertes Studioalbum herausgebracht.
>> www.facebook.com/Coma.rock.art
76 / 04.07.2020
WARSAW VILLAGE BAND
Gruppen, die sich der polnischen und slawischen Folklore widmen, gibt es in Polen an jeder Straßenecke. Aber nur wenigen gelingt es, auch im Ausland bleibenden Eindruck zu hinterlassen – so wie der Kapela ze Wsi Warszawa (Kapelle aus dem Dorf Warschau) und das sicher nicht nur, weil sie seit einiger auch als Warsaw Village Band durch die Lande ziehen. Wurzel und Ausgangpunkt jeglicher musikalischer Unternehmungen sind bei ihnen die Volkslieder ihrer Heimat, die ohne sie oft schon vergessen wären. Die Gruppe beschränkt sich aber nicht auf die möglichst originalgetreue Aufführung der Melodien mit weißer Stimme, Fiedel, Laute, Hackbrett und Zither, sondern aktualisiert sie dezent – und zwar ohne dabei auf den kommerziellen Erfolg zu schielen. Avantgardistische Klangexperimente, jazzige Einsprengsel, Reggae-Rhytmen und elektronische Spielereien ziehen sich durch ihre Arrangements und machen damit jedes aufpolierte musikalische Kleinod zu einem akustischen Abenteuer für Musiker und Zuhörer. Seit 2004 sind die in wechselnden Besetzungen spielenden Musiker/innen beim deutschen Roots-Label JARO Music aus Bremen unter Vertrag; spätestens seitdem ist ihre Karriere im Ausland nicht mehr zu stoppen. Acht Alben sehr unterschiedlicher Prägung – teils klassisch, teils mit Remixen – dokumentieren ihren Forschergeist. Auch wenn es für den Mainstream vermutlich damit nie reichen wird – in ihrer Nische gehören sie seit Langem zu den ganz Großen.
>> www.kzww.pl, www.jaro.de/de/portfolio-items/warsaw-village-band
77 / 04.07.2020
KINGA PREIS
Über die zahlreichen Bands und hauptberuflichen Musiker sollten wir nicht jene Schauspielerinnen vergessen, die auch dann, wenn die Rollen ausbleiben würden, noch problemlos auf der Bühne eine Karriere als Sängerin hinlegen könnten. In Polen ist das neben Joanna Kulig (die uns in „Cold War“ verzückt hat) und Sonia Bohosiewicz (die „Excentrycy“ mit ihrem Swing veredelte) mit Sicherheit die musikalisch hochbegabte Kinga Preis. Erstaunlicherweise wird sie in Filmen oft lieber als hemdsärmelige, früh gealterte Bäuerin und Hausfrau („Dom zły“, „Bogowie“, „Róża“, In Darkness“, „Stulecie winnych“) gecastet. Selbst in Film-Musicals wie „Córki dancingu“ überlässt sie das Singen anderen. Aber wenn der Aktrice (geb. 1971 in Wrocław) auf der Bühne ein freies Mikro über den Weg läuft, zeigt sie ihre Qualitäten vor allem als Interpretin von Chansons – zwischen süßlich und rabiat, schüchtern und wütend beherrscht sie diverse Stimmungen und setzt diese nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich kongenial um. Leider ist bisher niemand auf die Idee gekommen, mit ihr ein Studioalbum zu produzieren. Zum Glück vergisst das Internet nichts und man findet, wenn man nicht in den Genuss einer ihrer (Theater-)Bühnenauftritte kommt, mit etwas Geduld genügend Belege für ihr Naturtalent, mit dem sie Lieder von Nick Cave, Ewa Demarczyk oder Marek Grechuta veredelt.
>> www.facebook.com/pages/category/Artist/Kinga-Preis-1470094746537399
78 / 08.07.2020
MERY SPOLSKY
Man sollte auf keinen Fall den Fehler machen und Mery Spolsky unterschätzen. Denn was auf den ersten Blick so gefällig-mainstreamig daherkommt, hat mindestens einen doppelten Boden. Das fängt schon beim Künstlernamen von Maria Ewa Żak (geb. 1993 in Warschau) an, der seit 2014 als transliterierte Version von „Mary z Polski“ (Maria aus Polen) den Anspruch auf Internationalität mit ihrer polnischen Herkunft verbindet. Und diese Verbindung ist Programm: sprachlich einheimisch, aber musikalisch an keinem geografischen Anker festzumachen, sondern auf Augenhöhe mit dem globalen, elektronisch unterfütterten Pop- und Streetdance-Level mit Einflüssen von HipHop und Artverwandten. Dass dabei nicht nur gefälliges Hinternwackeln ohne Nachhaltigkeitswert herauskommt, liegt unter anderem an einer selbstbewusst zur Schau getragenen, taffen Weiblichkeit, einem kreativen Kleidungsstil (immerhin entwirft die Dame ihre Outfits selbst) und nicht zuletzt an Kompositionen und Texten, die bei genauerer Betrachtung voll von originellen Details und intelligenten Anspielungen sind. Das macht auch Spolskys zahlreichen Videoclips zu einer kleinen Kunstgalerie. Kein Wunder, dass ihre bisherigen beiden Alben (zuletzt „Dekalog Spolsky“, 2019) beim Labek Kayax erschienen, das eine gewisse Niveauschwelle prinzipiell nicht unterschreitet.
>> www.meryspolsky.pl
79 / 11.07.2020
FRELE
Kann man als Coverband jede Menge Spaß machen und trotzdem musikalisch auf höchstem Niveau zu Werke gehen? Und wie klingt eigentlich der Latino-Megahit „Despacito“ auf Schlesisch? Die Antwort auf diese Fragen geben uns die drei Damen von Frele (Schlesisch für „Fräulein“) aus Katowice. Im Stil der Andrews Sisters coverten sich Magdalena Janoszka, Marta Skiba und Marcelina Bednarska ab 2017 dreistimmig in Begleitung männlicher Instrumental-Statisten quer durch die Pop-Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, nachdem ein provisorischer Proben-Mitschnitt von Adeles „Hello“ eher versehentlich viral gegangen war. Die Sängerinnen sind, wie bei Coverbands üblich, stilistisch sehr flexibel – in Chanson, Rock, Soul, Pop und Discofox fühlen sie sich ebenso wohl wie in Latino-Rhytmen. An Sia, Lady Gaga, Lenny Kravitz, Alicia Keys und Miley Cyrus haben sie sich vergriffen (gesammelt auf dem vergriffenen Album „Na Cydyjce“, 2017) und noch einen draufgesetzt: Sie dachten sich zu den Tracks nämlich nicht polnische, sondern schlesische Texte aus, weshalb ihre Videos auch bisweilen Polnisch untertitelt werden mussten. Weil das qualitativ überzeugte und immer wieder heftig geklickt wurde, kam, was kommen musste: Die Damen singen jetzt auch auf Hochpolnisch, verfassen ihre eigenen Kompositionen und schicken sie im Eigenverlag auf dem Album „Hehe“ (2020) in die Welt.
>> www.gryfnefrele.pl
80 / 13.07.2020
2TM2,3
Eigentlich ist es naheliegend, dass es in einem stark katholisch geprägten Land auch eine opulente christliche Musikszene gibt. Und die beschränkt sich in Polen keineswegs auf Chorgesang und Orgelspiel, sondern ist so bunt und vielfältig wie das Musikbusiness insgesamt. Ein schillerndes Beispiel dafür sind seit 1996 die Rocker von 2Tm2,3 (der Einfachheit halber auch „Tymoteusz“ genannt), die in ihrem auf den ersten Blick etwas sperrigen Namen schon die Richtung anzeigen – er ist die Quellenangabe einer Passage im 2. Timotheusbrief im neuen Testament. Dort heißt es nach Luther: „Leide mit als ein guter Streiter Christi Jesu.“ Und als solche Streiter verstehen sich die zahlreichen Musiker der Supergroup um den charismatischen Altpunk, Rockpoeten und Hobbymaler Tomasz Budzyński, der bereits für Armia und Siekiera am Mikro stand. In ihren Texten – gerne auch mal auf Hebräisch oder Aramäisch – beziehen sie sich explizit auf biblische Inhalte, sind aber musikalisch äußerst ruppig unterwegs und animieren mit ihrem punklastigen Hardrock, gemixt mit Punk, Folk, Hardcore und Reggae, eher zum Pogo als zur Meditation. Bei akustischen Gigs in Kirchen und Gemeindehäusern können sie aber auch einen Gang herunterschalten und offenbaren die Qualitäten ihrer Songs jenseits von Geschwindigkeit und Lautstärke. Flöte, Horn, Saxofon und Klarinette dürfen aber auch mit auf die Bühne, wenn die Verstärker angeknipst sind. Seit ihrem letzten Konzeptalbum „Źródło“ (Quelle, 2015) ist es etwas stiller um die Band geworden, sie ist aber immer noch aktiv.
>> www.facebook.com/2tm23akustyczny
81 / 15.07.2020
JAZZPOSPOLITA
Wer bei dem Wort „Jazz“ an einen schummrigen Keller denkt, wo in der Ecke ein Klaviertrio dezent versucht, beim Biertrinken nicht zu sehr zu stören, der ist bei Jazzpospolita aus Warschau an der völlig falschen Adresse. Schon die Besetzung mit verzerrter E-Gitarre, Tasten, Bass und Schlagzeug erinnert eher an eine Rockband als an eine experimentelle Jazz-Formation und genau so klingt der Vierer dann auch. In bester Tradition der Genre-Vorreiter Pink Freud wird hier seit 2008 mit ordentlich Groove und gerne durchgetretenem Gaspedal ein satter Sound produziert, der eher zum Tanzen als zum bedächtigen Kopfnicken einlädt. Dem Post-Rock sind „Jazzpo“ damit bisweilen näher als Tomasz Stańko oder Krzysztof Komeda. Im Herzen ist das immer noch (Nu-)Jazz, also improvisierte und technisch anspruchsvolle Instrumentalmusik, aber mit einem frischen, jugendlichen, energiereichen und bisweilen selbstironischen Zugang – wie der Name (angelehnt an das Wort „Rzeczpospolita“, also „Republik“) schon andeutet. Inzwischen darf in Ausnahmefällen sogar ab und zu ein Gast dazu singen. Im Februar 2020 erschien mit „Przypływ“ (Flut) bereits ihr sechstes Full-Length-Studioalbum.
>> jazzpospolita.com
82 / 18.07.2020
SAME SUKI
Folklore hat viele Facetten und – eine äußerst wichtige ist dabei die feminine. Zum Glück machen Same Suki (Nur Hündinnen) schon mit ihrem Namen klar, dass ihre primär weibliche Zusammensetzung kein Zufall ist. Dabei ist die „Suka“ eigenlich ein altes polnisches Streichinstrument und verweist somit gleichzeitig auf die traditionellen Instrumente nicht zwingend slawischen Ursprungs (besagte Biłgoraj-Suka, türkischer Rebab, Violine, Udu, Cajón, Bendir, Cello, Kazoo), mit denen Helena Matuszewska, Patrycja Betley und Magdalena Wieczorek sowie Quotenmann Karol Gadzało zum Tanz aufspielen. Aber so, wie Same Suki seit 2012 ihr historisches inspiriertes Liedmaterial aufführen, ist es vor 200 Jahren mit Sicherheit nicht gespielt worden. Ihre Texte sind nämlich frisch geschrieben, gerne zeitaktuell sozialkritisch und dabei gelegentlich auch explizit feministisch. Offensive weibliche Sexualität und Religion sind kein Tabus. Auch kompositorisch wird modernisiert, vermischt und gekreuzt, bis keine passende Schublade mehr da ist. Nachhören kann man das bei diversen Live-Konzerten dies- und jenseits der Oder sowie auf den beiden Alben „Niewierne“ (Untreue, 2013) und „Ach, mój Borze“ (Ach du lieber Nadelwald, 2018).
>> samesuki.pl
83 / 20.07.2020
JAKUB JÓZEF ORLIŃSKI
Manchmal lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen. Zum Beispiel, wenn man eine Frauenstimme hört, aber dabei einen Mann singen sieht. Dann könnte es der Countertenor Jakub Józef Orliński (geb. 1990 in Warschau) sein, der nicht nur ein begnadeter und international erfolgreicher Sänger, sondern auch eine faszinierende Persönlichkeit ist. Nach seiner Ausbildung an der Fryderyk-Chopin-Musikuniversität seiner Geburtsstadt machte er zunächst seine ersten Schritte auf Bühnen Polens, bevor man ihn u.a. in Cottbus, Gießen und Leipzig hören konnte. Seine Auftritte in Deutschland ebneten ihm den Weg auf die Konzertbühnen der ganzen Welt. Inzwischen konnte er diverse internationale Wettbewerbe für sich entscheiden und u.a. die New Yorker Carnegie Hall mit Wohlklang füllen. Aber es gibt für Orliński auch ein Leben außerhalb der Konzertsäle und Opernbühnen: Er ist passionierter Breakdancer und als solcher ebenfalls ein Meister seines Fachs mit einigen Preisen in der Tasche. Da er darüber hinaus auch noch gut aussieht, wird er gerne für Werbeanzeigen und -clips als Testimonial gebucht. Und er ist YouTube-Klickmillionär, nachdem er versehentlich zu einer Radio-Aufnahme in leichter Sommerkleidung erschien, um dann festzustellen, dass doch Publikum und Kamera anwesend waren – und daraufhin in Turnschuhen und offenem Hemd eine hinreißende Vivaldi-Interpretation hinlegte, die prompt viral ging. Orlińskis Regal mit CD-Einspielungen ist hingegen ausbaufähig: Bis jetzt stehen dort gerade einmal die zwei Alben „Anima Sacra“ (2018) und „Facce d’amore“ (2019), die er mit dem schweizerisch-italienischen Orchester Il Pomo d’Oro unter Maxim Emelyanychev eingespielt hat.
>> jakubjozeforlinski.com
84 / 22.07.2020
THE ANALOGS
Es gibt Tage, an denen braucht man sanfte und unaufdringliche Musik – und es gibt Tage, da muss es hart, schnell, laut und dreckig sein. Für letztere sind die The Analogs aus Szczecin seit 1995 zuständig, die uns zeigen, dass man in 25 Bandjahren auf 20 Alben in Würde altern kann, ohne etwas an der für den geplegten Oi!/Streetpunk unabdingbaren Angepisstheit und Räudigkeit einzubüßen. Die Vorbilder liegen optisch wie akustisch unverkennbar in England, aber geradlinige Drei-Minuten-Songs, die authentisch als Sprachrohr für hart Arbeitende und sozial Unterprivilegierte funktionieren, haben auch in Polen ihre Daseinsberechtigung. Reich und berühmt sind sie damit nicht geworden, haben sich aber durch unermüdliche Album-Einspielungen und Livekonzerte eine treue Fanbasis erspielt – auch da, wo wenige andere Musiker hinkommen. Mit entschlackten akustischen Arrangements tourten nämlich zwei Musiker der Band 2018/19 in bester Johnny-Cash-Manier durch diverse Gefängnisse bzw. Erziehungsanstalten Polens und hielten diese Konzerte hinter Gittern auf dem Album „Projekt pudło“ (Knastprojekt, 2019) fest.
>> www.analogs.pl
85 / 25.07.2020
KAROLINA CICHA
Bei den Liedern von der Schauspielerin, Komponistin und Multiinstrumentalistin Karolina Klaudia Cicha (geb. 1979 in Białystok) sollte man ganz genau hinhören. Bei einer einer promovierten Literaturwissenschaftlerin muss man schließlich damit rechnen, dass Texte keine Nebenrolle spielen. Und das tun sie bei Cicha auf keinen Fall, auf ihren Alben vertonte sie u.a. die Dichter Tadeusz Gajcy und Tadeusz Różewicz und interpretierte Lieder über Warschau. Zunehmend betextet sie aber auch selbst geschriebene Lieder. Musikalisch ist bei der Musikerin auf inzwischen sieben sehr unterschiedlichen Alben (zuletzt „Jeden – Wiele“ [Einer – Viele], 2018) der multiethnische Folklore-Einfluss ihrer Heimatregion Podlachien nicht zu überhören, mischt sich aber stets wandelbar u.a. mit Elementen aus Rock, Pop, Klezmer und Chanson. Bisweilen darf es auch noch etwas exotischer sein, wenn sie mit einem Mix aus uralten und elektronischen Instrumenten (bis zu drei gleichzeitig spielend) beispielsweise pakistanische Traditionen aufgreift oder in Esperanto singt. Ihre Kreativität und Wandelbarkeit verschaffte ihr wiederholt Auftritte bei diversen World-Music-Festivals in Europa, Asien und der USA – zu Recht, denn mit jedem neuen Album bricht sie in eine neue akustische Welt auf.
>> karolinacicha.eu
86 / 27.07.2020
MAMADOU DIOUF
Wem die polnische Musikszene irgendwann zu polnisch wird, der hat in Mamadou Diouf jederzeit einen passenden Fluchtweg. Denn wenn der 1963 im Senegal geborene Musiker seine bunten Gewänder überstreift und zum Mikro greift, liegt Warschau im Handumdrehen mitten in Afrika. Eigentlich ist er ausgebildeter Veterinärmediziner, aber Musik ist seine eigentliche Berufung. 1983 kam er zum Studium nach Polen, blieb dort hängen und wurde Ende der Achtzigerjahre in der Kulturszene aktiv – in und mit diversen Ska-, Roots- und anderen Bands mit Musikern wie Habakuk, Anna Maria Jopek, Fisz, Zakopower, Voo Voo und Kapela ze Wsi Warszawa, aber ebenso unermüdlich als Initiator von diversen kulturellen Initiativen, welche zwischen der afrikanischen (nicht nur der senegalesischen) und der polnischen Kultur vermitteln. 2014 gründete er mit Sama Yoon seine aktuelle eigene Band und zeigte auf dem Album „Umbada“ (2016) seine Vision von Musik aus Polen mit Blick in die Welt. Man hört ihr kaum an, dass sie an der Weichsel entstanden ist und aufgenommen wurde – es ist eine frische und mitreißende Mixtur aus Afro-Pop, Reggae und Jazz, die sich geografisch nicht festmachen lässt und überall und nirgendwo zu Hause ist. Also auch in Polen.
>> www.facebook.com/mamadou.diouf
87 / 29.07.2020
VILLAGE KOLLEKTIV
Taugen elektronische Klangerzeuger nur für Clubs? Kann man Volksmusik nur auf traditionelle Weise aufführen? Muss eine Modernisierung musikalischer Traditionen zwingend auf die breite Hörermasse schielen? Die acht Musiker vom Village Kollektiv sagen dreimal „nein!“ und präsentieren erstaunlich souverän, was man mit dem Ausgangsmaterial „Folklore“ alles anstellen kann: Traditionelle Instrumente wie Leier und Suka, die osteuropäische weiße Stimme, dazu derbe Drum’n’Bass-Beats, funky Bläser, rockig verzerrte Streichinstrumente und keine klassischen Strophe-Refrain-Schemata sind die Zutaten für ein originelles Crossover-Experiment, das bei weitem nicht nur in polnischen Archiven gräbt. Auch bulgarische Lieder, samischer Joik und der Kehlkopfgesang der Tuwa haben Platz in diesem bunten Gemisch. Wer sich das nicht vorstellen kann, hört am besten in die beiden bisherigen Alben „Motion Rootz Experimental 2006“ (2006) und „Subvillage Sound“ (2010) rein.
>> www.facebook.com/Villagekollektiv
88 / 01.08.2020
PABLOPAVO
Der Sänger Pablopavo heißt eigentlich Paweł Sołtys (geb. 1978 in Warschau) und hatte irgendwann mal Russistik studiert, bevor er merkte, dass im Musik mehr Spaß macht, und das Studium abbrach. Zum Glück, denn als Kopf der Band Vavamuffin trug er nach zehn Jahren Herumexperimentierens in diversen Bands und Soundsystems ab 2003 ziemlich erfolgreich jamaikanische Vibes in die polnischen polnische Musikwelt, bevor er sich 2009 als benannter Pablopavo (gerne auch mit seiner Gruppe „Ludziki“) auch solo auf die Bühne traute. Stilistisch ist er schwer zu packen, „relaxter Zeitlupen-Pop/Rock mit Einflüssen von Reggae und Dub“ dürfte ihn zumindest in Ansätzen beschreiben, nachzuhören auf bereits acht (!) Soloalben, zuletzt „Wszstkie nerwowe piosenki“ (Alle gereizten Lieder, 2020 nur auf Vinyl). Hinzu kommen eine charakteristische, eher sonore Stimme und ein tendenziell lyrischer Ansatz beim Texten – was wenig verwundert, wenn man weiß, dass Sołtys auch als Schriftsteller recht gut ankommt und diverse Preise eingesammelt hat. Außerdem fällt er immer wieder durch geschmackvolle, oft auch stimmungsvoll animierte Videoclips auf,
>> karrot.pl/pablopavo
89 / 03.08.2020
MOSAIK
Die sechs Musiker/innen der Gruppe Mosaik (anfangs „Mosaic“) scheinen eigentlich aus der Alten Musik zu kommen. Historische Instrumente wie Geigen, Flöten und Schlagwerk aus dem Mittelalter sind seit über zehn Jahren ihr Markenzeichen – aber sie werden ergänzt durch so exotische Klangerzeuger wie Tanpura (Langhalslaute), Duduk (armenisches Holzblasinstrument), Nay (orientalische Endkantenflöte), Gimbri (maghrebinische Kastenhalslaute), Wspak (spezielles Cello), Kalimba (afrikanisches Lamellophon) und Ngoni (Spießlaute aus Mali). Damit ist klar, dass der Fokus nicht allein auf der polnischen Musik liegt, sondern die zwei Damen und vier Herren in ihrer Musik jegliche Grenzen insbesondere zwischen Polen und dem Orient überschreiten. Das gilt auch für Zeitgrenzen – historisches Material gehört ebenso zum Repertoire wie die Neuinterpretation von Punk-Klassikern. Konstant bleiben dabei das traditionelle, akustische Instrumentarium und die im Osten Europas tradierte weiße Stimme, nachzuhören auf bisher vier Alben (zuletzt „Wolno!“, 2016).
>> mosaik.pl
90 / 05.08.2020
ØRGANEK
Polen liegt im Wilden Westen – oder der Wilde Westen in Polen. Auf diese Idee könnte man zumindest kommen, wenn man die Musik von Ørganek hört, der eigentlich mit bürgerlichem Namen Tomasz Organek heißt, 1976 im ironischerweise nordöstlichen Suwałki geboren wurde und aus einer musikalischen Familie stammt. Trotzdem studierte er erst einmal Anglistik, bevor er professionell auf E-Gitarre umschwenkte und dann ab 2003 mit der Gruppe SOFA Bühnenluft schnupperte. Nach diversen Gastauftritten u.a. für Michał Jacaszek, Andrzej Smolik und Kayah war 2013 die Zeit reif für das Solo-Projekt Ørganek, welches mit handgemachten, gitarrenlastigen, melancholischen Songs, erdiger Southern-Rock-Schlagseite und lyrischem Anstrich schnell seine Fans fand. Seine beiden Alben „Głupi“ (Dumm, 2014) und „Czarna Madonna“ (Schwarze Madonna, 2016) erreichten beide Platin-Status.
>> www.organek.band
91 / 08.08.2020
SANAH
Dass sich massenkompatible Radiotauglichkeit und ein kluges Köpfchen nicht ausschließen müssen, haben bereits beispielsweise Mery Spolsky, Daria Zawiałow oder Sarsa bewiesen – und bei ihrer Kollegin sanah verhält es sich nicht anders. Auch hier könnte man beim ersten Hören schnell auf die Idee kommen, dass es mit knalligen Bässen, tanzbarem Groove und lieblich vorgetragenen Ohrwurmmelodien vor allem um Airplay und Clicks geht. Aber Zuzanna Irena Jurczak (geb. 1997 in Warschau) ist keine Marionette der Musikindustrie, sondern hat musikalisch einiges auf dem Kasten. Die Dame hat nämlich einen Abschluss im Fach Violine an der Fryderyk-Chopin-Musikakademie ihrer Heimatstadt in der Tasche und sowohl Geige als auch Klavier haben hörbar Spuren in ihren Kompositionen hinterlassen. Auch ihre Texte schreibt sie selbst und hat somit die volle Kontrolle darüber, dass auch der poppigste Uptempo-Clubkracher noch den besonderen lyrischen oder kompositorischen Kniff bekommt, der ihn zu etwas Besonderem macht. Insbesondere in ihren balladesken Songs merkt man zudem, dass sanah auch eine durchaus talentierte Sängerin mit jeder Menge Rhythmusgefühl ist. Das blieb den Zuhörer(inne)n und Zuschauer(inne)n nicht verborgen, die zuerst ab 2019 massenhaft ihre originellen YouTube-Clips ansahen und dann im Mai 2020 ihr Debütalbum „Królowa dram“ (Drama-Queen) in kürzester Zeit an die Spitze der Charts hievten.
>> sanah.pl
92 / 10.08.2020
ARKA NOEGO
Es verbietet sich geradezu, einen Zyklus über Musik zu verfassen und dabei Kindermusik zu übergehen – also Musik von Kindern und für Kinder. Ein ganz spezielles Phänomen ist in dieser Hinsicht das Projekt Arka Noego (Arche Noah), das – wie der Name schon suggeriert – christlich angehaucht ist, aber vor allem Kinder ans Mikro stellt und über das singen lässt, was sie im Alltag beschäftigt. Und wenn sie wollen, kann es auch mal richtig laut werden, denn unterstützt wird der musikalische Nachwuchs von namhaften Musikern aus der polnischen Rockszene. Erstaunlich ist dabei die Kontinuität – seit dem Erfolgs-Debüt „A gugu“ (Kuckuck!, 2000) erschienen in schöner Regelmäßigkeit zehn Alben, dazu kommen Einspielungen für Computerspiele und Filme. Das bedeutet auch, dass die kleinen Stars beständig wechseln und immer wieder durch jüngere ersetzt werden. Man schätzt, dass inzwischen über 100 Kinder mit der Arche geschippert sind. Noch origineller: Die Alben erscheinen beim Label Metal Mind Productions, das sich auf harte Klänge spezialisiert hat.
>> http://arkanoego.pl/
93 / 12.08.2020
IZABELA KAŁDUŃSKA
Nicht jeder, der eine klassische Ausbildung im Fach Violine absolviert hat, muss danach zwangsweise in einem Orchester oder diversen kleineren Ensembles für Alte oder Neue Musik landen. Für manche ist das Ende des Studiums erst der Anfang eines kreativen Entfaltungsprozesses, der vielmehr ein ständiges Suchen und Ausprobieren als das Perfektionieren einer bestimmten Klangfarbe ist – sowie bei Izabela Kałduńska (geb. 1990 in Gdańsk), die nach einer Geigen-Ausbildung in ihrer Heimatstadt für ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater nach Leipzig kam. Nach diversen preisgekrönten klassischen Projekten probiert sie nun ihre künstlerischen Visionen zunehmend mit Eigenkompositionen in immer neuen Konstellationen aus, die manchmal kurzfristig sind und manchmal in langfristigen Bandstrukturen aufgehen. Dazu gehören Solo-Programme unter dem Banner The New Solarism mit atmosphärischen Soundscapes für Violine und Elektronik, schmissiger Folk mit der Band Herje Mine (www.youtube.com/watch?v=AplpWZM8G8Q) (Album „Balkalagan“, 2018), das tanzbare DJane-Geigen-Duo ichor (www.facebook.com/duoichor/videos/347911842707276/) und das jazzig-experimentelle Noise-Trio LIS (www.youtube.com/watch?v=U1tlnUt_pyI). Was auch immer Kałduńska in Zukunft anpackt – man kann sicher sein, dass es überraschend, unkonventionell und wieder komplett anders sein wird. Und mit Violine.
>> https://soundcloud.com/izabela-ka-du-ska
94 / 15.08.2020
GRZEGORZ TURNAU
Was im Deutschen „Liedermacher“ heißt und im Englischen „Singer/Songwriter“, wird im Polnischen gerne blumig als „śpiewana poezja“ (gesungene Poesie) bezeichnet und steht an der Weichsel nicht zwingend an der Spitze der Charts, erfreut sich aber seit Jahrzehnten ungebrochener Popularität. Einer der Eckpfeiler dieser Gattung, die traditionell ebenso viel Wert auf den Text wie auf die gesangliche Darbietung und musikalische Verpackung legt, ist der singende Dichter Grzegorz Turnau. Er ist Jahrgang 1967 und an keinem anderen Ort vorstellbar als in seiner Geburts- und Heimatstadt Kraków. Denn er hat vieles mit ihr gemeinsam – er gehört nicht mehr zu den Jüngsten, ist aber immer noch höchst vital und produktiv, sich stolz seiner Traditionen bewusst, muss nicht jeden Trend mitmachen, achtet aber stets auf Qualität und ein schmuckes Äußeres. Als solch ein Künstler kommt er natürlich an der legendären Kleinkunstbühne Piwnica pod Baranami nicht vorbei, wo er inzwischen fast zum Inventar gehört. Sein Repertoire besteht zu großen Teilen aus nachdenklich-melancholischen lyrischen Texten (nicht ausschließlich aus eigener Feder, sondern auch von diversen Dichtern des 20. Jh.), verknüpft mit smooth-jazzigen, sparsam instrumentierten und überwiegend balladesken Ohrwurmmelodien, getragen von Turnaus Klavierspiel. Aber auch Cover von Rockklassikern, Film- und Theatermusik oder eine komplette CD mit Einschlafliedern für Kinder (2003, mit Magda Umer) zählen zu seinem Œuvre, das inzwischen satte 16 Solo-Alben, zwei veröffentlichte Livemitschnitte und unzählige Gastauftritte, Duette und Singles umfasst. Unlängst betrat er wieder Neuland und spielte das Album „Bedford School“ (2018) komplett auf Englisch ein – eine sentimentale Reise an den Ort, wo er in den Achtzigern ein Schuljahr verbrachte. Und wenn es ihm mit der Musik zu eintönig werden sollte, bleiben immer noch seine Hobbies – ein Weinberg in Westpommern und die regelmäßige Organisation von Konzerten in kujawischen Inowrocław, wo er inzwischen Ehrenbürger ist.
>> https://www.grzegorzturnau.pl
95 / 17.08.2020
WSPAK
Schauen wir noch einmal tief in den Untergrund, wo sich nicht nur langhaarige Rocker und hippe Indie-Elektroniker tummeln, sondern beispielsweise auch die beiden Damen von Wspak. Ihr Name bedeutet einerseits soviel wie „rückwärts“ oder „gegen den Strom“, andererseits bezeichnet er ein seltenes, Cello-ähnliches Instrument. Ihnen genügen nämlich ein Cello, eine Violine und die Stimmbänder derjenigen, welche diese Instrumente spielen. Aleksandra Pura (Cello) und Adrianna Maria Kafel (Violine) stammen aus Białystok im äußersten Nordosten Polens, kennen sich schon aus Schulzeiten und knüpfen mit ihrer Musik direkt an die Traditionen ihrer Heimatregion an. Beide haben eine solide Ausbildung als Cellistin und Kniegeigerin (Kafel) bzw. als Dirigentin und Jazzsängerin (Ola Pura) absolviert, wollen sich aber nicht pausenlos den perfektionistischen Zwängen einer klassischen Solo- und Orchestermusikerin unterwerfen. Also setzen sie sich in ihrer Freizeit – obwohl sie heute weit voneinander entfernt in Poznań und Kraków wohnen – zusammen und spielen in Minimal-Besetzung Volkslieder ein, die nicht polnischen Ursprungs sind, sondern belarussisch, ukrainisch, russisch und lemkisch. Damit schielen sie nicht auf die breite Hörermasse, sondern gehen intuitiv und leidenschaftlich ihrer Lust am Musizieren nach. Studioalben gibt es bislang nicht, aber immerhin einen inspirierenden YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/channel/UCQhHSFoFhcbKDRa1kF4U2WA).
>> www.facebook.com/pg/duetwspak
96 / 19.08.2020
IMMORTAL ONION
Esbjörn Svensson ist inzwischen zwölf Jahre nicht mehr am Leben und noch immer klafft in der Jazzwelt eine große Lücke, die sein Trio hinterlassen hat. Aber vielleicht können die drei jungen Musiker von Immortal Onion aus Gdańsk diese ja irgendwann füllen? Auch wenn ihr Bandname (und der Titel ihres Debütalbums „Ocelot of Salvation“, 2017) es vermuten lassen, handelt es sich keineswegs um eine Spaß-Formation, sondern um eine äußerst versierte, kreative und in der Besetzung stabile Jazz-Band, die aus den klassischen Mitteln (Tasten, Bass, Percussion) möglichst viel Neues, Unbekanntes und trotzdem Hörbares herauskitzelt. Die Inspirationen liegen dabei durchaus auch im Prog/Rock und in der elektronischen Musik, die Songs sind kompakt und haben Groove, trotzdem bleibt genug Raum für Improvisation, Spielwitz und individuelle Entfaltung. Auf ihrem aktuellen Album „XD [Experience Design]“ (2020) kann man gut verfolgen, wie die unsterblichen Zwiebeln immer mehr zu einer Einheit verschmelzen, die mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile ist.
>> https://immortalonion.com
97 / 22.08.2020
CZESŁAW MOZIL / CZESŁAW ŚPIEWA
Nicht zufällig ist der Bühnenraum das Zuhause sowohl von Musikern als auch von Schauspielern. Manche Theaterstücke sind voller Musik, andere wiederum inszenieren ihre Konzerte wie Opernaufführungen. Selten sind sich Musik und Theater so nah wie bei Czesław Mozil (geb. 1979 in Zabrze), der sowohl solo unter seinem Namen als auch im polnisch-dänischen Bandkontext unter dem Namen Czesław Śpiewa eine geistige Verwandtschaft zu musikalischen Kleinkünstlern wie The Tiger Lillies oder The Dresden Dolls nicht verleugnen kann. Seine Musik ist schwer in wenigen Worten zu beschreiben – es gibt eine unüberhörbare Nähe zum Chanson, aber auch Elemente von Rock oder sogar Punk sind enthalten. Auch das Instrumentarium ist breit gefächert – bei dem Mann, der als Kind mit seinen Eltern nach Dänemark auswanderte und sich mit 28 Jahren zur Rückkehr nach Polen entschloss, kommen u. a. Geige, Cello, Akkordeon und Klavier zum Einsatz. Besondere Bedeutung kommt jedoch den Texten und der Art ihres Vortrags zu. Auch Gedichte von Czesław Miłosz und Krzysztof Kamil Baczyński hat er vertont. Die Wandelbarkeit bescherte ihm etliche Gastauftritte mit Musiker(inn)en von Hey, NeoKlez, Quebonafide, Happysad oder Na Górze. Auch außerhalb der Musik ist er vielseitig: Er war bzw. ist TV-Juror und Radiomoderator, Synchronsprecher, Buchautor, Filmschauspieler, Restaurantinhaber und betreibt nebenher mit seiner Frau noch zwei Modelabels. Zuletzt erschien von ihm das Weihnachts-Album „Kiedyś to były święta“ (Früher waren das noch Festtage, 2018).
>> www.czeslawspiewa.com
98 / 24.08.2020
KAZIK STASZEWSKI
Es ist schlicht unmöglich, ein deutsches Äquivalent zu finden, um Kazik Staszewski (geb. 1963 in Warschau) und sein musikalisches Schaffen auch nur annähernd zu umschreiben. Wenn Campino fleißiger und musikalisch vielseitiger wäre, mehr Projekte im Köcher hätte und sich expliziter politisch äußern würde, dann vielleicht – aber bis dahin bleibt Kazik ein Unikum. Allein die Aufzählung seine produktivsten Projekte, die er in den letzten dreißig Jahren angeschoben hat, ist ob ihrer großen Masse furchteinflößend: allen voran die Kult-Rockband Kult, dann die Bands Kazik na Żywo (Rapcore), Buldog (Funk/Punk), El Dupa (Indie-Rock), Yugopolis (Jugo-Rock) und Zuch Kazik (Alternative). Optisch ist Kazik immer der strubbelhaarige Punkrocker geblieben, als der er seine musikalische Laufbahn Anfang der Achtziger begonnen hat. Dem alternativen harten Rock ist er auch heute noch treu, hat sich aber gleichzeitig sukzessive davon emanzipiert und ist zwischen Funk, Folk, Chanson und Pop in jeder Schublade ein bisschen zu Hause. Auch wenn er selbst ein begnadeter Autor ist, zeigte er mit Einspielungen von Kurt Weill und Tom Waits, dass er den Genre-Klassikern auch als Sänger und Arrangeur gewachsen ist. Nebenher betätigte er sich auch noch als Kolumnist und Buchautor – wobei er selbst so viel Stoff bietet, dass bereits zwei Bücher über ihn verfasst wurden. Sein unermüdlicher Einsatz als Hansdampf in allen Gassen brachte ihm neben unzähligen goldenen Platten und Musikpreisen auch einen (mit dem Bundesverdienstkreuz vergleichbaren) staatlichen Orden ein. Zuletzt erschien sein Album „Zaraza“ (Seuche, 020).
>> https://kazik.pl
99 / 26.08.2020
BASS ASTRAL X IGO
… und immer wenn man glaubt, man habe alle möglichen Kreuzungen und Kombinationen gehört, dann kommt wieder ein neues Projekt um die Ecke und serviert einen Mix, der zwei verschiedene Welten zusammen bringt und trotzdem vollkommen schlüssig klingt. Das machen derzeit Bass Astral x Igo – ein Indie-Elektro-Duo aus Kraków, das eigentlich tief im Rock verwurzelt ist. Sänger Igo (Igor Walaszek) und Elektro-Spezialist Bass Astral (Kuba Tracz) machten bereits in der Band Clock Machine gemeinsam astreine Rockmusik. 2015 begann dann ihre musikalische Evolution unter neuem Namen, bei der sie klickernde, wummernde, tanzbare elektronische Klänge mit soulig angehauchten Indie-Rock-Vocals verbanden und damit Sounds kreierten, die im Club direkt in die Beine gehen, aber auch in der heimischen Anlage oder im Kopfhörer nicht langweilig werden. Nachprüfen kann man das mit den beiden Lonplayern „Discobolus“ (2016) und „Orell“ (2017). Wer sich also eine Mixtur aus House sowie Pearl Jam, Adele, Joe Cocker und Lenny Kravitz vorstellen kann, sollte ein Ohr riskieren. Wer nicht – sowieso.
>> www.facebook.com/BassAstralxIgo
100 / 29.08.2020
KASIA NOSOWSKA
Es kursiert die Sage, dass vor langer, langer Zeit die schon recht erfolgreiche Band Pidżama Porno nach einer Sängerin suchte und eine junge Frau namens Kasia Nosowska (geb. 1971 in Szczecin) sich um den Job bewarb. Sie wurde nicht genommen – weil sie zu gut war. Es war allen Anwesenden klar, dass diese Ausnahme-Stimme auch ohne professionelle Ausbildung definitiv zu Höherem berufen war. Damit war der Weg frei für den Platz am Mikrofon der Band Hey, wo sie ab 1992 auf bisher elf Alben regelmäßig Erfolge feierte. Ab 1996 kamen sieben ebenso erfolgreiche Soloalben (u.a. mit Liedern von Agnieszka Osiecka) sowie diverse Gastauftritte mit anderen Bands und Musikern hinzu, für die sie regelmäßig mit Preisen überhäuft wurde. Nosowska schreibt Texte und Lieder, ihr wichtigstes Markenzeichen ist und bleibt jedoch ihre unverwechselbare Stimme – mit ihrer Fähigkeit, genauso souverän lieblich zu säuseln wie aggressiv zu röhren, ist sie für Rockmusik in allen Spielarten geradezu prädestiniert. Ihre jüngste Veröffentlichung ist das Soloalbum „Basta“ (2018).
>> www.nosowska.pl
https://www.youtube.com/watch?v=8klMG6E3bow